Kapitel 1: Theorie
Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der Frage der Differenz zwischen Foto und Film, spezieller mit der Gegenwärtigkeit und Präsenz, die Film im Gegensatz zum Foto gerne unterstellt wird und auf der anderen Seite mit der Frage, inwiefern Fotos Spuren der Vergangenheit sind und Film nicht. Hierzu dient ein kurzer Text von Metz1 zum Realismus im Film als Diskussionsgrundlage. Es wird versucht aufzuzeigen, dass sich Fotos von Film lediglich in quantitativer Hinsicht unterscheiden, was dazu führt, dass die dem Film gerne unterstellten Wirkungen zu denen des Fotos nur dahingehend abweichen, dass sie Narration anders konstruieren. Dies impliziert einen anderen Grad der Aktivierung des Zuschauers/Betrachters beider Medien und gewichtet zudem die im Moment des Betrachtens gegenwärtige Umwelt des Betrachters verschieden. So konstruiert sich Narration im klassischen narrativen Film durch die lineare Sukzession der Differenz im Kontext des Gleichen, welche sich aus den Filmbildern eher selbst (aber auch aus „äußeren Quellen“ wie z.B. dem Gedächtnis) ergibt, wohingegen bei Fotos die Differenz im Kontext des Gleichen mehr auf die individuelle Erinnerung des Betrachters und auf die aktuelle Umwelt gerichtet ist. Narration2 ist bei Film also eher selbstgenügsam, wohingegen Foto den Betrachter stärker aktiviert, um sich zu erzählen und auch dessen aktuelle Umwelt mit einbindet, was im abgedunkelten Kino eigentlich gerade vermieden werden soll. Der Grund hierfür liegt in der fehlenden direkten Sukzession der Narration, beim Betrachten von Fotos. Diese „Blockierung“ führt zu ähnlichen Effekten, wie sie z.B. Grodal3 in seiner Untersuchung der Affekte beim Film als gesättigte, nicht handlungsanleitende Gefühle beschreibt oder kann verglichen werden mit dem Zeitbild4 von Deleuze, welches die sensomotorischen Bande der Bewegungsweiterleitung unterbreche und die Zeit selbst enthülle.
Dabei enthält weder Foto noch Film außerhalb der Diegese betrachtet eine Wirklichkeit der Bewegung – beide stehen vor der Biegung der Erfahrung5. Im Hinblick auf LA JETÉE bedeutet dies, dass die spezielle Wirkung der Fotos nun vor allem unter Berücksichtung der narrativen Differenzen beider Medien betrachtet werden muss und da die Bewegung, was den Wirklichkeitsgehalt des Mediums betrifft, nicht als Kriterium herhalten kann, kann gezeigt werden, dass das Wirklichkeitserlebnis und somit das Wachsein in LA JETÉE als einem Fotofilm eher höher als das von bewegtem Film ist, weil Fotos den Zuschauer (Gedächtnis und Bewusstsein) und seine Umwelt aktivieren.
- Metz, Christian: Semiologie des Films, Teil I, Phänomenologische Untersuchungen des Films, 1. Zum Realitätseindruck im Kino, Seite 20ff. ↩
- Narration wird in dieser Arbeit nur prinzipiell wie Erzählung gefasst. Wenn von Erzählung die Rede ist, soll der Umstand des Erzählens betont werden, also dass es sich um eine Erzählung und Konstruktion handelt. Narration hingegen wird eher verwendet in der Funktion einer Strukturierung von Ereignissen und Dingen, folglich interessiert mehr das Wie der Konstruktion. ↩
- Grodal: Die Elemente des Gefühls, in: montage a/v, 9/1/2000. ↩
- Deleuze: Das Zeit-Bild, Suhrkamp, 1997. ↩
- In beiden Fällen bleibt Bewegung die Bewegung des Bewusstseins und kann nicht wirklich gefasst werden. ↩