Sprache der Gefühle: Körperlich, zeitlos, stumm.
THE ARTIST ist eine überschwängliche und bewegend traurige Liebesgeschichte im Hollywood der 20er und 30er Jahre, in Schwarz-Weiß und stumm. Dennoch kommt der Tonspur eine ganz besondere Bedeutung zu, denn der Film, welcher den Umbruch der Stummfilmzeit auf den Tonfilm am Beispiel des aus der Mode laufenden Stars George (Jean Dujardin) und des aufkommenden Tonfilmstars Peppy (Bérénice Bejo) beschreibt, wagt es sein selbstauferlegtes Schweigen hin und wieder zu brechen – und verstummt im Anschluss daran umso mehr. Wie damals werden die Bilder fast pausenlos von der Musik des Orchesters begleitet, das emotionale Momente sogar dann noch ausufernd gen Himmel trompetet, wenn eigentlich gar kein wildes Stummfilmgestikulieren mehr stattfindet. George, der von sich selbst eingenommene Stummfilmstar, der lieber seinen Hund als seine Frau küsst, kann nämlich nicht mehr den schillernden Charmeur geben, nachdem ihn die wunderbar garstig dargestellte Filmbranche wegen
fehlender Akustik abserviert hat. Mit seinem Geld schwindet auch sein Selbstvertrauen und sein exaltiertes Auftreten, was den körperlich gestutzten Mimen alsbald wie einen Tonfilmschauspieler ohne Stimme erscheinen lässt. So genommen ist THE ARTIST ein kluges Spiel zwischen Stummfilmgezappel und früher Tonfilmstatik, vergangenen Erzählkonventionen und modernem Storytelling, altmodischer Weltanschauung und zeitloser Romantik. Allein schon der Umstand, dass der Film im ergreifendsten Moment vollkommen stumm bleibt, ohne Ton, Musik oder Bildtitel, zeugt von einer Sonderstellung und von seinem großen Ansinnen, die Gefühle sprechen zu lassen, mehr als alles andere.
Wer sich niemals einen Stummfilm ansehen würde, wird sich auch im ersten Drittel des Films von Zeit zu Zeit langweilen, denn hier lebt THE ARTIST allein von visueller Dynamik, charmanten Mätzchen und Körpereinsatz. Danach zieht die dramaturgisch-melodramatische Schraube ordentlich an; THE ARTITST ist straff inszeniert und emotional wie einer jener Charlie Chaplin Filme, der dem zwiespältigen Wesen seiner Protagonisten höflich mahnend auf den Zahn fühlt und sie mit einem Lächeln im richtigen Moment fürsorglich wieder auf die richtige Bahn schupst. Manch visuelle Einfälle lassen die Stummfilmzeit noch älter aussehen, als sie ohnehin schon ist und auch die Neuauflage klassischer Stummfilmbilder ist weit mehr als bloßes Zitieren: Es ist die Wiederentdeckung der großen Gefühle, der Menschen und der Menschlichkeit, in den nur vordergründig verstaubt wirkenden Zeugnissen unserer Geschichte.
Dass es Jean Dujardin und Bérénice Bejo auch in Farbe gibt, kann man sich nach dem Film kaum vorstellen. Ebenso unglaublich erscheint es, dass Michel Hazanavicius‘ Film eine zweistellige Zahl Oscars gewinnen soll. Er ist zweifellos hervorragend (auch technisch) gemacht, anders, mutig, rührend, umwerfend, wunderschön und eine geniale und sogar kritische Hommage an die Traumfabrik. Aber trotz alldem ist er nicht unbedingt der Film, der nur an sich begeistert, sondern stark auch einer, der die Augen von Cineasten zum Leuchten bringt, ob der filmischen Selbstreferenzialität, der Wiederbelebung filmischer Klassiker und des Beweises, dass Film der ganz große Traum ist, für den es zu leben lohnt. Wer nicht filmbegeistert ist wird den Film dennoch mögen und staunen, wie unterhaltsam und bewegend Stummfilme sind.
Ähnliche Filme:
Silent Movie, Singin‘ in the Rain
Information:
Frankreich 2011
Dauer: 100 Minuten
FSK: 0
Regie: Michel Hazanavicius
Drehbuch: Michel Hazanavicius
DoP: Guillaume Schiffman
Musik: Ludovic Bource
Darsteller: John Goodman, Malcolm McDowell, Missi Pyle, James Cromwell, Penelope Ann Miller, Jen Lilley, Bitsie Tulloch, Jean Dujardin, Bérénice Bejo, Beth Grant, Ed Lauter, Joel Murray, Stuart Pankin, Ken Davitian, Ben Kurland
Genre: Melodram
Im Kino: 26.01.2012
Im Web:
The Artist in der IMDb
Bilder und Trailer zur Filmkritik von The Artist auf der offiziellen Website
http://www.youtube.com/watch?v=PT3K2kuTzVs
Copyright Bilder und Trailer: Delphi