Es war einmal: Doch jetzt ist alles anders…
Feucht und kalt ist es im Märchenland geworden, wo eine entzauberte Prinzessin und ein muskelbepackter Held der farblos gewordenen Welt neues Leben einzuhauchen versuchen. Schneewittchen wird unter der Regie von Rupert Sanders zum aufwändigen Fantasy-Abenteuer, dessen Größe sich vor allem ins Digitale erstreckt. Manchmal wird man aber auch mit richtig fassbarer Natur begeistert, deren rauer Geschmack mehr Präsenz vermittelt als das Drama selbst, welches eher gezeigt als gelebt daherkommt.
Snow White (Kristen Stewart) landet im Drehbuch von Daugherty, Lee Hancock und Amini erstmal im Rapunzel Turm, ehe sie mit Hilfe von Feen der narzistischen Königin (Charlize Theron), die hier eine Hexe ist, entkommen kann. Der vergiftete Apfel fehlt genau so wenig wie der Spiegel – oder das Dorn-Röschen und der zugehörige Kuss. Und dann gibt’s noch einen Zauberwald wie im Elbenland und den Waldgott aus PRINZESSIN MONONOKE. Weil sich hier keiner zu schämen scheint, die bekannte Märchen- und Fantasywelt geschichten- und genreübergreifend auszuplündern, gibt es auch noch magische Raben und Trolle. Nur einer
läuft ganz profan und mit seiner übergroßen Axt, die er kaum zu verstauen weiß, seinen breiten Schultern, die vergangene Märchenhelden verblassen lassen und einem Dickkopf, der sich gerne und oft Hiebe einfängt, durch diese verzauberte Welt und tut so, als wäre ihm alles egal. Die Rolle des Huntsman (Chris Hemsworth) wird so zur eigentlichen Hauptrolle von SNOW WHITE AND THE HUNTSMAN, denn an ihr bricht sich zumindest stellenweise der steife Gestus der ambitionierten Erzählung, die weder genügend selbst reflektiert, um als Märchen zu punkten, noch die packende Lebendigkeit eines Fantasy Epos bietet.
Im Kampf der etwas scharfkantigen und gestelzten Snow White, die alsbald in brachialer Rüstung gegen die Hexenkönigin kämpft, finden sich neben dem Huntsman noch weitere Gefährten ein – was nicht zufällig an DER HERR DER RINGE erinnert. Außer dem ernsten Bogenschützen William (Sam Claflin), dessen Rolle einigermaßen versandet, gesellen sich freilich noch die sieben Zwerge als komödiantischer Sidekick dazu. Nick Frost, Eddie Marsan, Ian McShane und anderen bekannten Gesichtern des englischen Kinos wurde hierfür kurzerhand digital der Körper gestaucht. Das Resultat ist fantastisch – vielleicht gar das Highlight des Films.
Manchen Szenen hätten mehr Raum und mehr Menschen besser getan als das, was Computerzauber bisher hergeben kann – ein Vorwurf, den sich ein 170 Millionen Dollar Film (boxofficemojo) gefallen lassen muss. Bisweilen ereignen sich merkwürdige Sprünge im Ablauf der Szene, was vielleicht am generellen Gestus dieser arg sequentiellen Inszenierung liegt. Diese Konzentration auf das „Wesentliche“ holpert visuell und narrativ und bringt auch emotional nicht den gewünschten Effekt – denn sonderlich emotional ist der Film ohnehin nicht. Dergestalt gelingt es einem zwei Stunden Film so viel Handlung durchzubringen, dass man gefühlt eine Stunde länger im Kino verbracht haben will. So gelingt es aber auch das Gefühl des Erlebten zu minimieren, von welchem gerade Abenteuer zehren. Bedauerlicherweise verwendet SNOW WHITE AND THE HUNTSMAN seine Dialoge zudem oft um Handlung zu erzählen, anstatt damit die Charaktere zu schleifen. Die Haltung zum Erzählen stimmt irgendwie nicht und auch dem „Es war einmal…“ der Rahmenerzählung gelingt es nicht, aus der ausgestellten Aufführungssituation Kapital zu schlagen.
Manchmal wirkt Charlize Theron von der Inszenierung allein gelassen, wenn sie die ganze Welt in Grund und Boden schreit. Das gewollte Resultat ist eine kalte Leere, die allerdings auf das Filmerlebnis selbst übergreift. Stewarts Snow White hat nur noch wenig vom unschuldigen und vorbehaltslosen Märchenwesen, besitzt aber in ihrem vorlauten Mut auch nicht die liebenswürdige Natürlichkeit ihrer zänkischen Kollegin Alessandra Martines, die sich als schwerttragende PRINZESSIN FANTAGHIRÒ ebenfalls keine Butter vom Brot nehmen lies. Stewarts Snow White verfügt weder über die Kernigkeit, noch den Charme oder die Sportlichkeit einer derartigen Prinzessinnrolle und hätte wohl besser als klassisches Modepüppchen im Glas-Sarg performt, wo Prinzen, Werwölfe und Vampire um sie wettgeifern dürfen. Der Verdacht liegt nahe, dass ein Rollentausch zwischen Stewart und Theron den Film deutlich interessanter gemacht hätte.
Nichts desto trotz bringt der Film die alten Kamellen zeitgemäß, gepimpt und mit viel Wumms zurück auf die Leinwand, ohne dass es langweilig wird. Neben Unvorhersehbarkeit trotz Überraschungsmangel gibt es immer wieder schöne Bilder und sachten Humor, insgesamt bleibt aber alles harmlos, was zumindest den Vorteil hat, dass diverse Anflüge von Pathetik kaum wahrgenommen, bzw. sogleich von Chris Hemsworth zu Tode gegrinst werden. Das Märchen ist tot. Es lebe das Märchen.
Ähnliche Filme:
The Brothers Grimm
Information:
USA 2012
Dauer: 127 Minuten
FSK: 12
Regie: Rupert Sanders
Drehbuch: Hossein Amini, Evan Daugherty, Evan Spiliotopoulos
DoP: Greig Fraser
Musik: Danny Elfman
Darsteller: Kristen Stewart, Chris Hemsworth, Charlize Theron, Sam Claflin, Ian McShane, Nick Frost, Toby Jones, Ray Winstone, Lily Cole, Bob Hoskins, Eddie Marsan, Vincent Regan, Dave Legeno, Rachael Stirling, Johnny Harris
Genre: Märchen, Abenteuer, Fantasy
Im Kino: 31.05.2012
Im Web:
Snow White and the Huntsman in der IMDb
Bilder und Trailer zur Filmkritik von Snow White and the Huntsman auf der offiziellen Website
Copyright Bilder und Trailer: Universal