interessiert an seiner Umwelt, ganz ohne Vorbehalte. Das Naive an ihm ist weniger das nicht Überreißen können seiner Lage, als das uneingeschränkte Vertrauen in die Menschen. Deswegen muss er enttäuscht werden und deswegen enttäuscht er notgedrungen.
Das hier zugrunde liegende Dilemma erinnert an Richard Sennetts Modell des gesellschaftlichen Wandels in der Öffentlichkeit. Wo es vormals im öffentlichen Raum eine klare Etikette gab (etwa am Hof), die jedoch stets getrennt von der wahren Natur des Menschen im Privaten betrachtet wurde, verschiebt sich das Persönlichkeitsbild durch Säkularität weg vom Natürlichen und hin zu einer individuellen, bewusstseinskontrollierten und spontanen Auffassung des Selbst. Öffentlich und Privat lassen sich so immer schwerer trennen und die öffentliche Etikette wird weitaus komplexer, versucht es das Individuum doch fortan zu vermeiden zu viel oder Falsches über den eigenen Charakter preiszugeben, mit der gleichzeitigen Intention ein individuelles und selbstbestimmtes Auftreten zu erschaffen. Kurz gesagt: Man will sein Leben zwar selbst bestimmen, aber von dieser Lebensweise nicht bestimmt werden. Miranda, Natalie und Liz tappen mit ihren neuzeitlichen Lebensentwürfen in eben jene Falle, die sie in ihrer eigenen Identität schwanken lässt, wohingegen Ned, einem Kleist’schen Sosias gleich, geradlinig und unbeschwert auf seinem natürlichen Öko-Trip fährt und alle anderen zur Verzweiflung treibt. Laut Sennett wäre er damit ein Mensch des 18. Jahrhunderts, was die Haltung von OUR IDIOT BROTHER irgendwie auch bestätigt, denn das postmoderne New Yorker Leben wird durch die Proklamation einer aufrichtigen Natürlichkeit der postmodernen Vielheit beraubt. Kommt nach der Postmoderne die Prämoderne?
Wie nicht anders zu erwarten, wird zum Ende wieder alles ins Lot gerückt, schließlich ist Ned der strahlende Prototyp eines idealen, reinen Menschen – dessen unwahrscheinlicher Naivität kein Funken Ignoranz anhaftet, die ungeniert und fröhlich alles ihr im Weg stehende niederwalzt, was wohl realistischer wäre. Die Besetzung ist exzellent und den Schauspielern ist die Freude an ihrer Arbeit anzusehen. Der Film ist für alle, die sich im Spiegel gerne Grimassen scheiden. Wenn Ned eine Frau wäre, wäre es Miranda July oder Björk.
Ähnliche Filme:
Information:
USA 2011
Dauer: 90 Minuten
FSK:
Regie: Jesse Peretz
Drehbuch: Evgenia Peretz, David Schisgall
DoP: Yaron Orbach
Musik: Nathan Larson, Eric Johnson
Darsteller: Paul Rudd, Elizabeth Banks, Zooey Deschanel, Emily Mortimer, Steve Coogan, Hugh Dancy, Kathryn Hahn, Rashida Jones
Genre: Komödie
Im Kino: 17.05.2012
Im Web:
Our Idiot Brother in der IMDb
Bilder und Trailer zur Filmkritik von Our Idiot Brother auf der offiziellen Website
http://www.youtube.com/watch?v=4E5-V0v9–o
Copyright Bilder und Trailer: Senator