Verlust des Anderen in Brokeback Mountain

Bokeback Mountain Hausarbeit

Hauptseminararbeit Filmwissenschaft FU Berlin 2006 Christopher Haug

Gliederung

Einleitung

Brokeback Mountain in den Kritiken von Daniel Mendelsohn und Slavoj Zizek

Kritisches zu Mendelsohns Kritik

Wo steht diese Arbeit denn nun eigentlich bezüglich

der verschiedenen Positionen der Kritiker?

Der neue Wert des Tragischen

Unterdrückung der Sexualität, Gleichmachung

Homophobie

Verbrüderung durch Gewalt

Warum diese Annahmen stimmen sollen

Scham und Queer

Schluss

Literatur

Einleitung

Brokeback Mountain gefällt dem Mainstream vielleicht deshalb, weil die Schwulen hier so normal wirken. Es stellen sich zwangsläufig die Frage: Was ist normal und was sind Schwule, wenn nicht normal?

Diese Frage weißt auf eine Problematik hin, die weder unter den Gays, noch unter den Nicht Gays gelöst wurde, da doch letztere zumindest heutzutage vermuten, es komme darauf an, nicht zu separieren sondern zu vereinheitlichen, das Schwulsein also ohne mit der Wimper zu zucken unter dem gemeinsamen Dach der Gesellschaft aufzunehmen. Auf schwuler Seite hingegen gibt es wie es scheint solche, die diese Meinung teilen und solche, die sich schon seit langem die Aufgabe gemacht haben, die verdeckten Unterdrückungsmechanismen, oft eben auch in scheinbarem pro Gay Verhalten, aufzudecken. Und diese Vertreter müssten sich meiner Meinung nach in Brokeback Mountain gerade ihrer Andersartigkeit beraubt fühlen. Die Frage mündet also in dem Versuch herauszufinden, was es bedeutet schwul zu sein, was ein schwuler Film sein soll und ob es im Schwulen Aktivismus überhaupt darum geht, ein gleichwertiger Teil der Gesellschaft zu werden oder eher die Gesellschaft zu sprengen und neue ungleiche Teile zu verbinden? Und sollte wirklich letzteres der Fall sein, stellt sich die berechtigte Frage, ob Sexualität bei einem solchen Ansinnen tatsächlich als Auslöser oder Motor gelten kann? Oder aber ist sie nur eine Wirkung, eine von vielen? Oder aber Sexualität wird als Auslöser und gleichzeitig Wirkung von Anderssein verstanden, was sie aber in einen weit komplexeren gesellschaftlichen Kontext stellt, und deswegen eine Abtrennung von individuellem sexuellen Begehren erforderlich macht.

Ich weiß nicht, wie diese Fragen zu beantworten sind, aber ich versuche mich mit Brokeback Mountain im Hinblick auf diese Thematik auseinanderzusetzen.

Um auf die ursprüngliche Frage zurück zu kommen, warum die Protagonisten in diesem Film derart „normal“ wirken – und das ist meine These – muss zuerst der Rahmen abgesteckt werden. Relevant sind einmal die filmische Ebene und andererseits die Medien, Rezensionen und das Marketing. Ich werde zeigen, dass, obwohl eine „Normalisierung“ gerade im Bereich des Marketing und der Rezeption in den Medien erkannt und scharf kritisiert wurden, der eigentliche Grund einer solchen Meinung, nämlich dass das Schwulsein ausgeklammert würde, wohl eher im Film selbst zu verorten ist. Des weiteren komme ich zu dem Schluss, dass diese Art der Vermainstreamung den Aktivisten zur Anerkennung der Homosexualität eigentlich nur entgegenkommt, sofern es wirklich darum geht gleichberechtigter Teil in einer gleichmachenden Gesellschaft (und das ist der westliche Kulturkreis, und nicht nur dieser) zu sein. Wenn es jedoch um Queernes geht, kann Brokeback Mountain nicht als Fortschritt betrachtet werden, sondern vielmehr als Trennscheibe zwischen Anderssein und Queernes auf der einen, und Gleichheit als Container für alle Arten der Sexualität auf der anderen Seite, wobei Sexualität hier zweitrangig wird und sich dem gesellschaftlichen Miteinander unterordnet.

Brokeback Mountain in den Kritiken von Daniel Mendelsohn und Slavoj Zizek

Es gab zu Brokeback Mountain sehr viele positive Kritiken. Ob in Zeitungen, in Zeitschriften, in Filmforen im Internet, in homo- wie in heterosexueller Presse, überall wurde der Film gefeiert. Dann gab es natürlich die kritischen konservativen Stimmen in den USA, etwas verspätet vielleicht, und schließlich doch auch eine Rezeption, wie die von Daniel Mendelsohn in The New York Review Of Books, der nicht eigentlich den Film, sondern dessen Marketing und Rezension verurteilt und als das Schwulsein ausklammernd entlarven will.

Mendelsohn beginnt seine Kritik damit, dass er ausführlich und redundant darauf hinweist, wie komisch es für manche Menschen sein muss, eine schwule Liebesgeschichte erzählt zu bekommen, und dass man sich Schwule doch ganz anders vorstellt, schon gar nicht als Cowboys. Deswegen, so Mendelsohn, kamen viele Kritiker zu dem Entschluss:

“[…]the story told in Brokeback Mountain is not, in fact, a gay story, but a sweeping romantic epic with „universal“ appeal.”1

und diese Art der Kritik wiederum fungiere:

“[…]in order to diminish the specifically gay element[…]”2

Mendelsohn sieht einen Abseits vom Film liegenden Hinweis dafür, dass das „schwule Element“ unterdrückt wird darin, wie die Pressebroschüren verfasst sind, nämlich ohne auch nur einmal das Wort Homosexuell zu gebrauchen, oder wie Trailer zum Film zwar zwischenmenschliche Beziehungen der Protagonisten zu ihren Frauen zeigen, sie sich gegenseitig jedoch nicht zu nahe kommen. Gleiches spiegle die Verleihung der Golden Globes wieder.

Den Film selbst sieht er durch solche Kritiken und eine derartige mediale Praxis, obwohl an sich genommen exzellent, eingeschränkt in seiner Tragweite.

Mendelsohn beharrt darauf, die Geschichte von Brokeback Mountain als eine distinkte schwule zu betrachten und nicht etwa als das universale Epos, welches mancher Kritiker beschwor – wenngleich mit guten Absichten – um dem Film sein eigentliches Schwulsein zu nehmen.

Er wird präziser in seiner Aussage zur Distinktivität des Films, als er zwar klassische tragische Züge im Film erkennt, diese jedoch relativiert, zumal Brokeback Mountain anders als eine universale Liebestragödie wie etwa Romeo und Julia, nicht ein soziales sondern ein psychologisches Drama sei:

„: they believe that there’s something wrong with themselves long before they can understand that there’s something wrong with society.”

Und der Umstand, dass hier zwei schwule Cowboys agieren ließe noch lang nicht die grausame Simplifizierung zu, den Film einen gay cowboy movie zu nennen:

“ (Had this been the story of, say, the love between two closeted interior decorators living in New York City in the 1970s, you suspect that there wouldn’t be full-page ads in the major papers trumpeting its „universal“ themes.) But the fact that this film’s main characters look like cowboys doesn’t make them, or their story, any less gay.”

Ganz anders startet jedoch Slavoj Zizek durch, komplett queer sozusagen, allerdings landet er nicht weit entfernt von meiner eignen These.

Er spricht in seinem in der Frankfurter Rundschau erschienen Text „Homophobes Rodeo“ eigentlich nicht sonderlich viel über den Film selbst, doch er vertritt eine recht interessante These, die ihn zu einem meines Erachtens erwähnenswerten Schluss bringt.

Nachdem Zizek den Oscar Gewinner 2006 Crash als den besseren Film gewürdigt hat, ganz einfach weil er aktuelle Probleme thematisiert und nicht schon gelöste wie der Film von Ang Lee (!), erklärt er dem Leser, dass zum einen der Western immer schon homoerotische Momente enthielt, wie auch das Militär, und dass die Homosexualität gar die libidöse Ordnung festige, auch unter Soldaten, als eine Art „schmutziges Geheimnis“, welche das ordentliche und disziplinierte Auftreten nach außen hin erst ermögliche und keineswegs subversiv im Hinblick auf „die phallische Ordnung oder das Patriarchat“ wirke. Zizeks Anregung: Nur schwule Cowboys/Soldaten können gegen islamistische Terroristen gewinnen, weil nur so die im Islam ebenfalls vorherrschende und Unterdrückte homosexuelle Männergemeinschaft aufgedeckt werden könne. Diese meiner Meinung nach äußerst amüsanten Schlüsse, bringen ihn zu folgendem Schlußresumee bezüglich eines wünschenswerten Umgangs mit Homosexualität im Film:

„ Denn während Brokeback Mountain uns die tragische Geschichte einer homosexuellen Beziehung in einer feindseligen, eben homophoben Gesellschaft erzählt, handelt Capote von einem Schriftsteller, der, neben vielen anderen Eigenschaften, eben auch schwul ist. Müssen wir nicht darin den eigentlichen Sieg der Schwulen-Bewegung sehen? Denn wir haben es mit einem Helden zu tun, dessen sexuelle Präferenzen nicht den ganzen Charakter dominieren.“

Da schreiben nun so viele Kritiker dem Film (angeblich) seinen schwulen Charakter ab, und nun stellt sich Zizek komplett auf die andere Seite und kritisiert gerade, dass der Film zu sehr in die Kerbe der Homosexualität schlage, ist das nicht komisch?

Irgendwie entsteht in mir der Eindruck, dass eigentlich kein Mensch wirklich weiß, was von Brokeback Mountain zu halten sein soll, wenngleich ebenfalls zu erkennen ist, dass sich die Mehrheit bemüht diesen Film und mit diesem Film die Homosexualität als „total normal“ zu…ja zu was? Zu manifestieren? Oder sollte man sagen zu bewältigen?! Hier fängt die Hilflosigkeit bereits an, aber ich kann mir an diesem Punkt ein Lachen durchaus nicht verkneifen. Fast erinnert es an eine Theorie zum tragischen, wie sie Lars von Trier einst umschrieb:

„‘Die Menschen tun einander nur Gutes an. Nur dann, so sagt der dänische Regisseur, […] weint es sich am besten. Aber weil ‚das Gute‘ oft missverstanden oder mit etwas anderem verwechselt wird, weil wir ihm so selten begegnen, entstehen Spannungen.’“3

Dies entbehrt doch nicht eine gewisse Komik!

Kritisches zu Mendelsohns Kritik

Hat Mendelssohn Recht, wenn er behauptet, die Liebestragödie als eine psychologische mache den Film zu einer speziellen gay Tragödie und entferne sie gleichzeitig von universalen Werken wie Romeo und Julia?

Aber ist wirklich jede Tragödie der verbotenen Liebe nur auf sozialer Ebene anzusiedeln? Hat nicht selbst Julia Zweifel, gerade als sie erfährt das Romeo Tybalt tötete. Der Unterschied zwischen der einen und der anderen Tragödie ist doch mehr, dass die einen Liebenden bereit sind ihre Liebe gegen die Gesellschaft zu verteidigen und sich das tragische Moment, im Falle Romeos und Julias der Tod, durch ihre Auflehnung ergibt, wohingegen die anderen Liebenden ihre Liebe verbergen und sich unterdrücken (lassen), was ihre Tragödie zu einer psychologischen werden lässt. Der Differenzierungspunkt bleibt aber die Bereitschaft zur Auflehnung, denn an sich sehe ich in beiden Fällen das Potential zu beiden Tragödien gegeben. Es ist wichtig dies zu erwähnen, denn wenn Mendelsohn keine Ressentiments schüren will, die selbst wieder sexistisch sind, muss darauf hingewiesen werden, dass nicht etwa allein homosexuelle Liebe psychischen Tiefgang erreicht. Vielmehr ist der gesellschaftliche Diskurs (in R.u.J.) heterosexuell, was die Externalisierung dieser Liebe ungemein erleichtert und sie zu einem sozialen Problem werden lässt. Hieraus folgt, dass charakteristisch für die homosexuelle Liebe, die Unterdrückung und Diskrepanz des vorherrschenden gesellschaftlichen Diskurses zu nennen wäre, und weiter folgt ein Infragestellen dieser Liebe selbst in psychologisierter Form. So ausgebreitet ergibt Mendelsohns Argumentation mehr Sinn, sie offenbart jedoch auch ihre Schwäche, denn auch viele andere (nicht homosexuelle) Tragödien unserer Welt verlaufen letztendlich psychologisch, siehe tausende von Ehen welche schon lange nicht mehr funktionieren und wegen gesellschaftlicher Konvention und „um der Kinder willen“ aufrecht erhalten werden, mehr schlecht als recht, und – um bei der unterdrückten Liebe zu bleiben – wie viele dieser Ehen wurden vergiftet, gerade wegen der Liebe des einen oder anderen Partners zu einer anderen Person?

Charakteristisch an diesem Film ist also, dass diese Hürde zum Kampf gegen die Gesellschaft schwer zu nehmen ist, vor allem wohl, weil es die selbstregulierende und -disziplinierende Macht der Gesellschaft, wie es Foucault nennen würde, geschafft hat, zumindest über eine langen Zeitraum hinweg, die Gleichgeschlechtlichkeit als Krankheit in den Köpfen der Menschen zu etablieren, was wiederum automatisch in den meisten Menschen mehr den Wunsch nach Heilung als eine Auflehnung generierte. Da diese Mächte jedoch genauso in anderen Bereichen wirken, ist es kein eindeutiges Unterscheidungskriterium, welches Brokback Mountain zum schwulen Film macht. Allerdings will ich eingestehen, dass gerade die Drohung mit Krankheit, als übergestülpte Kategorie sozusagen, ein sich Auflehnen sehr schwierig macht, im Vergleich zu beispielsweise einem Ehebruch, der bestenfalls von sehr religiösen Menschen ernsthafte moralische Konsequenzen hervorrufen kann.

Als Kriterium für einen schwulen Film, lasse ich diese Hürde gegen Auflehnung dennoch nicht gelten, eher schon als ein, verzeihen sie den Rückgriff auf medizinische Termini, Symptom (nicht der Krankheit Homosexualität, sondern der Krankheit Krankheit, also des dem Begriff Krankheit anhaftenden Diskurses der Wissensproduktion mit all seinen hierarchisierenden Konsequenzen). Dies auch deswegen, weil ich nicht glaube, dass ein schwuler Film als solcher kategorisch definiert werden kann, ja auch gar nicht definiert werden will und sollte. (Wenn dann müsste man sagen, diese Hemmschwelle definiert Queernes, also das Stoßen an die Grenzen des gesellschaftlichen Diskurses, was BBM also queer erscheinen ließe, wenn der Film keine submissive Haltung dieser selbstdisziplinierenden Macht gegenüber einnimmt, was wiederum die bestehende Ordnung nur etablieren kann.)

Viele weitere Beispiele für die Psychologisierung der Liebe und Sexualität gibt die Psychoanalyse, so dass es wirklich sehr fraglich erscheint, ob dieser Aspekt als Begründung eines „gay element“ in Brokeback Mountain dienen kann.

Weitergehend bleibt fraglich, ob Mendelsohn die dem Film„vorgeworfene“ Universalität einfach zurückweisen kann. Was die Psychologisierung der Liebe betrifft, so scheint es sich wie eben gezeigt, ja doch um ein universales Phänomen zu handeln. Wie aber sieht es aus mit dem Rückgriff auf den Cowboy, der die Geschichte in das Herz von Amerika trägt? Mendelsohn kontert, dass die Geschichte der schwulen Innendekorateure der von Brokeback Mountain um nichts nachstehen würde, im Sinne eines schwulen Films. Und lediglich, weil hier Cowboys aktiviert werden, wird nun in großen Artikeln die Universalität dieser Liebesgeschichte untermauert, und dabei das Schwulsein komplett ausgeklammert.

Ich denke, und der Fortlauf dieser Arbeit wird es auch noch zeigen, dass Mendelsohn durchaus recht hat, sich vor dieser Universalisierung zu Fürchten, weil er nämlich um die queernes des Schwulseins fürchten muss. Allerdings ändert dies nichts an der Tatsache, dass es der Film dennoch geschafft hat, beim Publikum sehr gut anzukommen. Fragt sich nur, ist es nun Verdienst des speziell schwulen Charakters des Films, oder aber des universellen?

Nun, selbst wenn es das „gay element“ ist, welches die Massen dazu bewegte Brokeback Mountain gut zu finden, so sei doch darauf hingewiesen, dass dies nichts anderes ist (für ein mehrheitlich heterosexuelles Publikum), als der Griff nach dem Fremden. Bernhard Waldenfels bemerkt hierzu unter anderem:

„[…]dass Eigenes und Fremdes bei aller Absonderung mehr oder weniger ineinander verflochten und verwickelt sind. Dieses Ineinander schließt eine völlige Deckung oder Verschmelzung von Eigenem und Fremden ebenso aus wie eine vollständige Disparatheit. Insofern kann im interpersonalen wie im interkulturellen Bereich von einem absolut oder total Fremden nicht die Rede sein.“4

Dieses Zitat verdeutlicht, dass es sich nicht um ein absolut Fremdes Handeln kann, was den Film so auszeichnet. Also selbst wenn das spezifische „gay element“ Grund des Erfolges wäre, wäre es doch zugleich wieder Teil der Allgemeinheit (ein vergesellschaftlichtes Gaysein), und wieder haben wir Mendelsohns Problem der Universalisierung!

Waldenfels, ähnlich wie Butler, Sedgwick oder Zizek, stellt somit Homosexualität in eine Verflechtung mit heterosexuellen Diskursen. Ich habe hier jedoch Waldenfels zitiert, weil er mehr als die anderen nicht nur auf intrapersonelle und –kulturelle, sondern eben auch interpersonelle und -kulturelle Aspekte eingeht. Wo im Intra das enthüllende (und verdunkelnde) Licht auf das „selbst niemals völlig bei sich sein“ scheint, überwiegt im Inter meines Erachtens der überraschende Aspekt der Abwesenheit des absolut Fremden. Brokeback Mountain hat es also ohne Zweifel geschafft, ob nun mit mehr oder weniger „gay element“, Homosexualität zu einem gewissen Teil und in einer gewissen Weise zu universalisieren, sonst wäre er nicht so gut gelaufen. Dass eine solche Universalisierung oder Ent-Fremdung oder auch Kategorisierung Substanz kostet, steht außer Zweifel. Mendelsohns festhalten an der Qualität des Films, aber sein gleichzeitiger Groll gegen universalisierende Kritiken wirkt wie der Wunsch, einen Massenerfolg mit einem Film zu erreichen ohne Mainstream zu werden – oder wie Schwulsein als normal zu etablieren ohne seine Andersheit zu verlieren.

Ich persönlich glaube nicht, dass versucht wird den Film zu ent-homosexualisieren, auch wenn mir dies selbst bei einigen Kritiken die ich las auffiel. Ich sehe es aber mehr als den Versuch, Gays endlich in diesen verrückten Bereich einzulassen, den wir gerne normal nennen. Und da erscheint es dann schon verständlich, dass vieles für was gekämpft wurde, worüber sich profiliert wurde – meist über den Feind nämlich – und der war das „normale“, auf einen Schlag verloren geht. Und so habe ich gezielt nach einer Kritik gesucht, in der ich zu finden hoffte, was mir Mendelssohn letztendlich zumindest teilweise bewahrheitet hat. Eine Kritik an der Normalisierung. Ob es denn nun gut ist normal zu sein, muss jeder für sich selbst entscheiden, ich kann dem nicht vorbehaltlos zustimmen, wenngleich es sicherlich meist einfacher und weniger schmerzvoll ist. Aber irgendwie ist es dann eben auch „langweiliger“/unfreier und vielleicht sind viele Gay Aktivisten ja schon bald vom „Aussterben bedroht“, wenn ihnen die Berechtigungsgrundlage dieses Kampfes und dieser fruchtbaren Kritik entzogen wird. Vielleicht wird aber dann auch deutlich, dass es eben doch um vielmehr geht, als nur um Sexualität (beziehungsweise deren Aufspaltung in Homo/Hetero/Bi/…und die daraus folgenden Zwischenkämpfe), und vielleicht kann man dann den Begriff Queer auch mehr verwenden wie es Eve Sedgwick nahe legt5, nämlich als eine Art Identitätsraum stiftende Scham, entstanden aus fehlendem Feedback mit der Umwelt. Aus einer Art Zurückgewiesenheit, welche aber weit davon entfernt ist, Stereotype zu produzieren sondern vielmehr Individuen, welche das Normale auch weiterhin in jeder Weise kritisch hinterfragen können und eben auch zu einer Art Erkenntnis über den Menschen beitragen, wie die weniger „individualisierten“ und oft institutionalisierten „Normalen“ eben auch.

Aber die Gesellschaft ist einfach Meister darin Verschiedenheiten zu Gleichheiten umzuformulieren. Sedgwick weist hierauf ebenfalls hin, in ihrem einleitenden Kapitel zu ihrem Buch Between Men. Gegensätze werden im Gesellschaftlichen Prozess durch eine Neu-/Mehrfachbesetzung des Subjekts in einer Art Suture verbunden:

“It is important that ideology in this sense, even when its form is flatly declarative (“A man’s home is his castle”), is always at least implicitly narrative, and that, in order for the reweaving of ideology to be truly invisible, the narrative is necessarily chiasmic in structure: that is, that the subject of the beginning of narrative is different from the subject at the end, and that the two subjects cross each other in a rhetorical figure that conceals their discontinuity.”6

So ist also das „Normalisieren“ von Ideologien schon das Zusammenfassen von Gegensätzen.

Wo steht diese Arbeit denn nun eigentlich bezüglich der verschiedenen Positionen der Kritiker?

Nun, die positiven Kritiken, die jedoch den Fehler begingen den Film als zufällig schwul zu bezeichnen, will ich zwecks etwas kurzsichtiger Argumentation eher weniger unterstützen, wenngleich ich eigentlich ihrer Meinung bin. Allerdings würde ich es nicht ganz so beliebig ausformulieren und noch drastischer werden und sagen, dass die Unterdrückung der Homosexualität erst eine derart großflächige Empathie entstehen lässt. Allerdings muss ich diese Argumentation mit vollem Bewusstsein betreiben, dass diese Vorgehensweise ebenso eine negative Kritik darstellt und relativieren, warum eine derartige „Normalisierung“7 der Homosexualität Probleme hervorrufen kann bzw. warum sie es in diesem Fall eher nicht tut.

Somit ist meine Position bezüglich der anderen Kritik, derer nämlich, dass der Film zwar nicht, wohl aber sein mediales Umfeld die Homosexualität ausklammert, fast schon erklärt: Ich sehe nicht nur im medialen Umfeld des Films, sondern im Film selbst, nicht eine Negierung sondern eine Angleichung (auch durch Unterdrückung) der Homosexualität an tradierte gesellschaftlichen Werte, vor allem den der Liebe gegeben, sehe dies jedoch nicht nur als nachteilig, sondern vielmehr als positives Signal in Richtung gesellschaftlicher Akzeptanz, wenngleich als Verlust der Queernes der Homosexualität – oder aber als Loslösung der Sexualität vom Begriff Queer.

Mit der einzigartigen Kritik von Zizek verbindet mich weniger die Ansicht, dass Brokeback Mountain zu sehr auf die Homosexualität baut – ganz im Gegenteil – als vielmehr sein daraus gezogener Schluss, dass der eigentliche Sieg der Schwulen-Bewegung nun darin zu sehen ist, das der Charakter des Helden nicht ganz durch seine sexuellen Präferenzen dominiert sein müsse (und somit der Quernees die Grundlage entzieht, sofern sie nur auf Sexualität baut) . Zizek sieht dies zwar gegeben in Capote und nicht in Brokeback Mountain, ich persönlich schließe mich aber hier der Meinung der Mehrheit an und erkenne genau diese Tendenz in Ang Lees Film, nämlich das in den Hintergrund rücken der Homo-Sexualität im Diskurs der Homosexualität.

Allerdings besteht ein gewaltiger Unterschied zwischen nicht von der Sexualität dominiertem Charakter und seine eigene Sexualität unterdrückendem Charakter. Dies birgt freilich die Gefahr meine gesamte Argumentation nichtig werden zu lassen, weswegen ich im folgenden Absatz kurz auf das Verhältnis von Unterdrückung und tragischem Schicksaal eingehen will. Ich muss dabei zeigen, dass im Bezug auf den gesellschaftlichen Diskurs der Homosexualität ein in den Hintergrund rücken der Sexualität gleichzeitig ein Unterdrücken dieser sein muss, weniger aber ein Unterdrücken der Homosexualität als der Sexualität im allgemeinen.

Dies heißt, dass auch Homosexualität, einmal gesellschaftlich anerkannt, mit Unterdrückung zu rechnen haben wird, im Sinne eines konstanten im Zaum haltens der Sexualität gegen das Andere. Sedgwick nennt das extrapolierte Kontinuum von Männerfreundschaft zu Homosexualität homosocial desire8. Die Männerfreundschaft ist dabei zwingend homophob, aber gleichzeitig zwingend auf einer Achse mit der Homosexualität anzusiedeln. Ich gehe vom gleichen Prinzip aus, verallgemeinere jedoch und vertausche homophob gegen fremdenfeindlich und Homosexualität gegen das Andere. Heinrich Mann lässt den beliebten französischen König Henri IV in seinem gleichnamigen Roman sagen, er ziehe es vor seine Freunde nah an sich heran zu lassen, seine Feinde jedoch noch näher. Ich denke in diesem Sinne ist es zu verstehen, wenn Homosexualität normalisiert wird – nämlich zur Kontrolle.

Der neue Wert des Tragischen

Max Scheeler erkennt  in seinem Text „Zum Phänomen des Tragischen“ im tragischen Helden den Träger eines neuen Wertes, welcher diesen auszeichnet und gleichzeitig in eine Art Schuld führt. Als neuer noch nicht von der Gesellschaft akzeptierter Wert, wird der Held zwangsläufig in Handlungen verstrickt, mit welchen er sich im gesellschaftlichen Sinne Schuld auflädt, nicht aber im Hinblick auf den neuen Wert den er vertritt, welcher die Gesellschaft jedoch erst nach der Tragödie zu verwandeln vermag, oftmals erst sehr viel später, was ihn dann erst retrospektiv zum Held werden lässt, und die Geschichte tragisch macht. Betrachten wir Jack als diesen Helden, so ist sein Talent, dass er sich entgegen der Bedrohung durch die feindliche Umwelt dazu entschließt, seine Liebe zu einem Mann aufrecht zu erhalten. Sein neuer Wert ist nicht die Liebe zu einem Mann sondern der Mut sich dahinter (Liebe) zu stellen. Die Schuld, die er sich auflädt, ist die Vernachlässigung seiner Familie, und letzten Endes gar das zurücklassen seines Geliebten, weil er nämlich in den Tod geht. Scheeler spricht vom tragischen Gefühl, welches den Zuschauer in einem kalten aber geborgenen Zustand mit sich und der Welt eins werden lässt sein Schicksal zu akzeptieren. Ang Lee schaltet aber Ennis dazwischen, der nun nicht zum tragischen Held wurde und nicht diesen neuen Wert vertrat. Er blieb beim Selbsthass und der Unterdrückung stehen. Aber genau darum ging es, denn ihn galt es zu überzeugen, genau das versuchte Jack ja all die Jahre über. Er wird zum Zuschauer der Tragik seines Freundes und damit selbst zum Melodram, zum lebendig begrabenen. Lediglich die letzte Szene, so traurig sie anmuten mag, bringt all dies ans Licht und ist aber diesmal nicht das von Scheeler beschrieben tragische Gefühl. Dieses Gefühl fiel zunächst auf Ennis zu, er war der erste und intimste Zuschauer der Tragödie seines Geliebten, und auch er schien sich diesem tragischen Schicksaal hinzugeben, bis zuletzt, doch dann wehrt er sich. „Ich schwöre Dir…!“, er spricht es entschlossen, mit einer Vehemenz! Was schwört er? Ich vermute was er schwört, ist sich nicht dem Schicksaal/seiner Unterdrückung hinzugeben, er hat seine Lektion gelernt. Der Schrank bleibt offen, und draußen blüht die Natur. Kurz zuvor wollte er seiner Tochter eine Absage für die Einladung zu ihrer Hochzeit erteilen, wegen der Arbeit, den gleichen Grund schob er auch immer bei Jack vor, wenn es um gemeinsame Treffen ging. Aber er verbessert sich. Er fragt sie, ob ihr zukünftiger Mann sie denn wirklich liebe, und sie bejaht mit offenen, ehrlichen Augen. Seine anfängliche Skepsis verfliegt, er ist bereit, Liebe als solche zu akzeptieren, auch wenn es unsinnig erscheinen mag, dass die beiden sich erst seit einem Jahr kennen und seine Tochter erst zweiundzwanzig ist. Aber entgegen der Widerstände der Vernunft willigt er ein, bekennt sich zur Liebe. Und in diesem Sinne sollte auch nicht vergessen werden, dass er gerade seine Hausnummer auf seinem neuen Briefkasten anbringt, als seine Tochter eintrifft. Er stellt also wieder Verbindung mit der Welt her, er hat sich nicht aufgegeben, er hat das Opfer von Jack nicht sinnlos werden lassen und wird sich nicht weiter selbst Unterdrücken, und das ist es was er schwört.

Deswegen lautet meine Argumentation, dass Ennis, auch wenn er den ganzen Film hindurch der Unterdrückte ist, wirklich bis zur allerletzten Szene, mit einer Wende schließt. Wäre alles jedoch anders verlaufen, hätten sich die beiden entschlossen ihr Leben zu ändern und zusammenzuziehen, dann hätte der Zuschauer nicht miterlebt, was es für Ennis als passiven bedeutete Jack zu verlieren und wir hätten Ennis als „gleichgesinnte“ Identifikationsfigur verloren, welche uns den Schritt aus der Unterdrückung erst emotional erklären kann. Lee schickt uns auf eine Reise mit Ennis, in der wir miterleben, als der „heterosexuelle Teil“ von Ennis, welcher gleichzeitig der unterdrückende Teil ist, warum Homosexualität keine Krankheit sein kann. Es ist als wünschte der Zuschauer irgendwann, Ennis möge den Mut fassen um aus dem Schrank zu treten, aber nur, weil Ennis bis zum bitteren Ende den Restriktionen seiner repressiven heterosexuellen Umwelt nachkommt. Würden die beiden sich gleich dazu entschließen durchzubrennen, würde ein schwules Drama folgen, in welchem die beiden den feindlichen Reaktionen der Umwelt ausgeliefert, letztendlich sterben oder darunter zerbrechen. Das wäre aber eine ganz andere Geschichte, das wäre meines Erachtens eher, was man gemeinhin einen schwulen Liebesfilm nennen würde. Brokeback Mounain ist aber ein heterosexueller Film, der den Übergang zur Homosexualität thematisiert (nicht eigentlich zur Homosexualität, sondern zur Etablierung eines homosexuellen Begehrens im gesellschaftlichen Diskurs) und dies gelingt, weil Ennis bis fast zuletzt an der (heterosexuellen) Gleichheit festhält, bis schließlich selbst der heterosexuelle Zuschauer Erlösung wünscht und eher die Unterrückung, welche bis dato die Gleichheit und Identifikation ermöglichte, als kranken Zustand anerkennt als die wahre Liebe eines Mannes zu einen Mann.

Deswegen will ich behaupten, dass der in seiner Sexualität sich selbst unterdrückende Ennis der Schlüssel zur positiven Aufnahme ist, und dass es deswegen ein heterosexueller Film ist, welcher die Homosexualität thematisiert, aber ohne den Charakter auf die Sexualität zu reduzieren, welche ja auch im Film kaum vorkommt, und stattdessen eine gesellschaftliche Akzeptanz für Homosexualität erzeugt, welche aus der Bewegung des Übergangs, des aus dem Schrank Tretens entspringt und dabei die Sexualität selbst zweitrangig werden lässt. Der Film ist kein homosexueller Liebesfilm, er ist ein Übergangsfilm, eine Initiation der Homosexualität in die Gesellschaft, eine Prüfung die bestanden werden muss, in der die Liebe der beiden auf Herz und Nieren geprüft wird, und zwar unter für die heterosexuelle Welt vertrauten Bedingungen, denn nur so kann die Andersartigkeit sich als Gleichheit beweisen und dies ist leider nötig, wenn es um gesellschaftliche Akzeptanz geht, um jedwede.

Im Folgenden versuche ich im Film aufzuzeigen, wo und wie Ang Lee die Gleichheit fördert.

Unterdrückung der Sexualität, Gleichmachung

Als die beiden zum ersten Mal im Zelt landen, ist es Jack der Ennis an sich zieht. Darauf folgt ein Moment der Ungewissheit, in der man nicht weiß, ob Jack nun gleich verprügeln wird, oder Jack Ennis vergewaltigen, oder ob tatsächlich das scheinbar unmögliche geschehen wird. Das scheinbar unmögliche geschieht, allerdings nicht wirklich. Die beiden greifen sich mit den Armen und man spürt förmlich die Spannung ihrer Muskeln. Sie blicken sich kaum in die Augen aber erzielen scheinbar ein Einverständnis: Sex. Von Romantik, Liebe, Zärtlichkeit oder Wohlwollen keine Spur. Es passiert, aber es scheint nicht wirklich zu sein.

Am nächsten Tag folgt der wortlose Abschied von Ennis. Als sie sich wieder sehen heißt es nur von beiden Seiten, sie seien nicht schwul, eine einmalige Angelegenheit, folglich nichts passiert. Genau hier kann der Film beim Massenpublikum punkten. Denn so etwas hätte vielleicht jedem einmal passieren können, in einer durchzechten Nacht. Die beiden sympathisch wirkenden Cowboys, von denen keiner den anderen belästigt oder bedrängt (die große Angst der Heterosexuellen), machen sich nicht gleich zu Außenseitern sondern wurden scheinbar gar selbst überrascht.

Die zweite gemeinsame Nacht im Zelt verläuft friedlicher, aber nur ein wenig. Schüchtern kommt Ennis zum bereits wartenden Jack ins Zelt, seinen Hut verschämt vor sein Geschlecht gedrückt. Doch abermals ist es den beiden nicht möglich sich vernünftig zu umarmen, wieder sieht man die verkrampften Arme, Ennis kann Jack nicht ins Gesicht sehen, kann sich selbst nicht ins Gesicht sehen und drückt sich schließlich in einer seltsamen Pose an seine Brust. Jack wendet sich um und die Szene ist schon wieder vorbei. Wir bekommen nichts zu sehen, wie schon beim ersten Mal, wo fast alles in der Dunkelheit verschwand9.

Die versteckte Homo-Sexualität welche Ennis in sich selbst ja geradezu verkörpert, scheint mir ein entscheidendes Stilmittel (und vermutlich eine grundlegende Bedingung für die weitläufige positive Resonanz des Films auch beim heterosexuellen Publikum) zu sein. Ennis und Jack bleiben die, die sie zu Beginn waren.

Dies wird untermauert durch die folgenden Szenen der Gemeinsamkeit der beiden auf dem Brokeback Mountain. Sie sind beisammen wie Männer, nicht wie ein Liebespaar, also halten sie das Bild der bekannten „homosocial bonds“ zwischen Männern aufrecht, obwohl sie Sex hatten.

Und als sie von ihrem Arbeitgeber via Fernglas beim „herumtollen“ beobachtet werden, was diesen, wie sich später zeigte, sofort von der homosexuellen Neigung der beiden überzeugte, erkennt Mendelssohn darin ihre einzige wahre Szene des Glücks auf dem Berg. Ich stimme dem zwar zu, doch bleibt es mir dennoch schleierhaft, wie dieses Verhalten gleich als homosexuell gedeutet werden kann. Sie erscheinen mir vielmehr wie 12 jährige Jungs die im Freibad 12 jährigen Mädchen (oder Jungs) mit einem Handtuch hinterher jagen und auf sich eindreschen, in Ermangelung des Wissens um eine sinnvollere soziale Tätigkeit. Auch diese Szene also, die Mendelssohn als die glücklichste ihrer Beziehung nennt, erscheint mir viel zu harmlos um ihr tatsächlich Homosexualität zu unterstellen. Ähnlich Szenen kennen wir aus unzähligen Filmen, doch endet das Liebespaar normalerweise verschlungen und sich küssend im grünen Gras. Nichts dergleichen in Brokeback Mountain. Und auch wenn wir bereits wissen, die beiden haben Sex, so scheinen sie doch noch immer die „normalen“ Jungs zu sein.

Ein Abschied der beiden findet am Fuße des Berges gar nicht erst statt. Aber es gibt eine Art Abschiedsszene oben, als sie Aufbrechen. Wieder schaffen sie es nicht lieb zueinander zu sein. Jack muss Ennis mit dem Lasso fangen, wie ein wildes Tier. Als sie sich schließlich balgen kommt es nicht zu einem Kuss, sondern zu einem Schlagabtausch mit Blut. Ennis scheint verzweifelt, dass sie gehen müssen, zurück in die Realität. Doch er versteckt es hinter ökonomischen Interessen. So hat er für Jack, der ihn vermutlich absichtslos schlug, nur einen Faustschlag übrig.

Körperliche Aktivität ist was die beiden auf dem Berg verband. Körperlich aktiv wird Ennis mit seiner Frau nur dreimal. Einmal, als er mit ihr Schlitten fährt, in einer Szene, die stark an das herumtollen mit Jack erinnert. Jedoch wird schlagartig klar, das Ennis sich hier viel mehr zusammennehmen muss. Seine Frau kann er nicht so grob behandeln wie Jack. Und so lässt er den ausgestreckten Arm mit Schnee in der Hand, den er nach dem „Schlittenunfall“ seiner Frau ins Gesicht schleudern wollte, sanft auf ihrer Mütze ab und verreibt ihn, wie bei einem Kind. Er büßt seine Körperlichkeit ein und es wird deutlich, dass Ennis hier nicht die Männerfreundschaft finden kann, die ihn mit Jack verband. So subtil nun ging der Übergang von Ennis zum Homosexuellen (oder zur neu konnotierten Männerfreundschaft), dass er uns als solcher gar nicht erst bewusst wurde. Denn Ang Lee zeigt uns nicht etwa wie sich Ennis mehr zu Männern als zu Frauen hingezogen fühlt, sondern wie die erlebte stark körperliche Beziehung mit Jack, wie sie eben nur zwischen Männer stattfinden kann, sei es durch sich prügeln oder balgen, mit einer Frau nicht funktionieren kann. Es geht nicht darum zu zeigen, das Ennis sexuell anders orientiert ist, sondern darum, dass für ihn Körperlichkeit nötig ist um glücklich zu sein (auch Körperlichkeit im Sinne von der Natur folgend, der Natur seines Körpers freien lauf lassen, auch der Natur des Brokeback Mountain), Körperlichkeit, wie sie auch andere Männer (ohne auch nur einen Gedanken an Homosexualität zu verschwenden, so wird zumindest angenommen) ausüben.

In der zweiten Szene hat Ennis mit seiner Frau Sex. Er scheint keinerlei Probleme damit zu haben. Allerdings dreht er sie auf den Bauch. Wird hier Analsex angedeutet? Es ist als hätten alle genau auf diese Szene gewartet, die beweist, dass Ennis schwul ist. Und Lee bringt diese Szene, allerdings ohne sie irgendwie abzusondern oder weiter zu betonen. Keine Close ups, keine Verzögerungen, keine dramatische Musik. Es ist einfach so.

Aber es ist ganz anders als mit Jack, denn seine Frau wirkt durch die Gewalt mit der er sie auf den Rücken dreht doch etwas konsterniert. Es scheint also, als entwickle sich das Schwulsein für Ennis aus der körperlichen Männerfreundschaft heraus. Dadurch wird der Übergang viel weicher, aber auch nachvollziehbarer, als wenn Ennis schlichtweg kein Interesse an seiner Frau bezeugte oder sich von Anfang an liebevoll an Jack gewandt hätte.10

Und tatsächlich findet im folgenden Film ein Übergang statt, zu einem Ennis, der schon kurze Zeit später Jack voller Sehnsucht erwartet und ihn küssend und umarmend vor seiner Haustür empfängt, das erste Mal wirklich. Jetzt erst ist Ennis wirklich schwul, denn jetzt erst äußert sich seine Liebe.

Allerdings nicht für lange. Die spärlichen Treffen der beiden zeigen kaum mehr Intimität oder Liebe. Sie tollen wieder umher, springen gemeinsam in einen See, geben sich raue Komplimente, gemäß dem Motto, was sich liebt das neckt sich. Immer stärker wird das Drängen von Jack nach einer gemeinsamen Zukunft, immer entschiedener blockt Ennis ab. Jetzt ist Ennis endgültig gefangen, denn er weiß um seine Homosexualität, gesteht sie sich auch ein, doch er verbietet sie sich. Hat es bisher die Richtung des Augemerks auf die homosoziale Bindung von Ennis und Jack geschafft, Ennis auf dem Level der Gleichheit mit der Heterosexualität zu halten, so tritt nun eine Veränderung ein. Aber abermals wird der Zuschauer nicht mit Sexualität konfrontiert, sondern vielmehr mit deren Unterdrückung. Genau so aber, wird es abermals vereinfacht (für die heterosexuelle Sicht) auf Ennis Seite zu bleiben, denn er ist zwar schwul und auch bald geschieden, aber wir nehmen an seinem selbst zerstörerischen Kampf teil, sich sein Innerstes zu verbieten. Die Entscheidende Szene hierfür, ist ihr letztes Zusammentreffen am Fuße des Brokeback Mountain, an einem See (signifikanterweise, denn sie sind nicht mehr in traumtänzerischer Höhe auf dem Berg, wo sie „nur“ umschlossen waren von Kälte, sondern an einem Ort mit Tiefgang und kaltem Wasser). Hier kristallisiert sich zum ersten Mal klar der Umfang des Liebesdramas der beiden heraus. Jack wünscht sich verzweifelt, von Ennis loszukommen, aber er kann es nicht, Ennis hingegen wirft Jack vor, dass er rein nichts mehr sei, denn alles was er in sich trägt ist die Liebe zu Jack und die verbietet er sich selbst. Signifikanterweise sehen wir jetzt einen Flashback von Jack. Er erinnert sich an die eigentlich schönste und einzige romantische Szene der beiden auf dem Brokeback, die uns bisher vorenthalten wurde: Jack steht halb schlafend am Feuer, Ennis kommt von hinten und umarmt ihn zärtlich. Er flüstert ihm ins Ohr, er schlafe ja wie ein Pferd, im stehen. Dies, so fährt er fort, habe ihm seine Mutter immer gesagt. Von seiner Mutter zu sprechen ist für Ennis etwas sehr intimes. Er teilt hier eine seiner wenigen und wichtigen Erinnerungen an die Zärtlichkeit seiner früh verstorbenen Mutter und gibt sie an Jack weiter. Dann verabschiedet er sich von Jack und geht die Schafe hüten. Das Bild überblendet auf den Truck von Ennis, wieder am Fuße des Brokeback, 20 Jahre später, wie dieser davonfährt. Jack weiß wohl um die Bedeutung dieser Erinnerung, und ebenso Ang Lee, der uns diese Szene bewusst bis zu diesem Moment vorenthalten hat. Erst jetzt ist der Charakter von Ennis im Zuschauer gereift, dass der Film es wagen kann die wirkliche Liebe zwischen zwei Männern zu zeigen, auch die zärtliche. Jetzt ist der Wendepunkt gekommen indem der Film wirklich zum Liebesdrama werden kann. Auch ein heterosexuelles Publikum, welches den Weg mit Ennis über eine homosoziale Männerfreundschaft, zu einer unbefriedigenden Ehe, zu einer Sehnsüchtigen aber unterdrückten Liebe und nun zu einer zärtlichen und tragischen Romanze gegangen ist, kann jetzt mit Ennis auf diese Weise um den Tod Jacks trauern, wie es ein Liebesdrama erfordert.

Homophobie

Ennis imaginiert gleich am Telefon was wirklich geschah, nämlich dass Jack keinen Unfall erlitt sondern ermordet wurde. Aber wie es wirklich war, wissen wir nicht, wenngleich ich mir nicht vorstellen kann, dass die imaginierten Bilder ihre Wirkung verfehlen. Allerdings stellt sich die Frage, warum wurde es so präsentiert?

Die Gewalt der feindlichen Umwelt gegen die Homosexualität nimmt an keinem Punkt des Film körperliche Gestalt an, bis auf diese Szene, welche jedoch nur Imagination ist.

Auch ihr vormaliger Arbeitgeber auf dem Brokeback Mountain, ein homophober alter Cowboy der alten Garde, verhält sich in Anbetracht des Klischees welches er vertritt, erstaunlich harmlos. In Erinnerung geblieben ist mir ein Wort von ihm, welches er gleich zu beginn spricht, während Ennis und Jack in seinem Trailer warten. Er bekommt eine Anruf, wir wissen nicht um was es geht, aber es ärgert ihn, und mit Nachdruck spricht er das Wort: NO! Leider schafft es die deutsche Synchronisation nicht seinen Tonfall originalgetreu wiederzugeben. Sein No nämlich, ist kein trockenes oder kategorisches. Es ist nicht das definitive No eines Cowboys der damit einen Schlussstrich zieht, wie wir es uns bei einem Cowboy vorstellen. Es ist nicht das No, welches mit tiefer Stimme gesprochen, einen stringenten Betonungsabfall nach unten beschreitet. Stattdessen spricht er ein No, welches eher wie das No eines beleidigten Kindes klingt. Es beginnt mit sehr hoher Stimme um dann genervt und beleidigt im tiefern o abzuklingen. Dieser Mann muss um seine Autorität kämpfen. Später beobachtet er die beiden mit dem Fernglas, der Moment, wie wir später erfahren, als ihm klar wird, dass die beiden schwul sind. In der nächsten Szene schon kommt er zum Zeltplatz geritten, wo Jack gerade Holz hackt. Er erzählt ihm von dessen kranken Onkel, der im Sterben liegt. Aber er erwähnt kein Wort von seiner Beobachtung und er versucht noch nicht einmal Jack loszuwerden, hätte er doch genau jetzt die Möglichkeit dazu. Stattdessen sagt er zu Jack, wenn er kein Arzt sei und eine Lungenentzündung heilen könne, kann er auch hier oben bleiben. Dieser Cowboy missbilligt Homosexualität, später wird er Jack auch weitere Arbeit verwehren, aber er ist weit davon entfernt offen oder gar gewalttätig gegen Homosexualität aufzubegehren. Als am Ende die Schafe gezählt werden, beschwert er sich zwar, dass es nicht so viele sind wie zu beginn der Saison, doch dies wirkt eher kleinlaut. Seine Worte haben keinen Nachdruck, er spricht sie, als sei es seine Pflicht sich zu beschweren.

Als er ein Jahr später Jack verbietet nochmals für ihn zu Arbeiten, spricht er zwar explizit auf seine Homosexualität an, wie bereits erwähnt klingt dies eher wie ein Protest als ein Affront. Er scheint überhaupt nur an seinem Geschäft interessiert zu sein. Dass die Schafe gut gehütet werden und nicht zu viele verloren gehen. Außerhalb dieser Ökonomie übt er keine Kritik. So entgegnet er also Jack, er habe keine Verwendung für Jungs die sich gegenseitig die Stange halten (deutsche Synchronisation) anstatt auf die Schafe aufzupassen. Dies erscheint unter zweierlei Gesichtspunkten erstaunlich. Zum einen, stellt er wieder die Schafe in den Vordergrund, zum anderen, verwendet er eine beschönigende Ausdrucksweise, die fast schon belustigt. Ganz klar sei hier angemerkt, dass diese Szene durchaus ernst wirkt und Jack auch traurig stimmt. Aber ganz klar muss man auch erkennen, dass dieser Kommentar, gesprochen von einem offensichtlich homophoben Cowboy der alten Garde, die lächerlichste aller zu erwartenden Konsequenzen ist, mit denen der Zuschauer hier rechnet.

Es gibt noch eine weitere Szene der Gewalt gegen Homosexuelle im Film, aber auch diese passiert nicht direkt. Es ist der Rückblick von Ennis an die Belehrung seines Vaters11, was in diesem Land mit Schwulen passiert. In überbelichteten Bildern sehen wir, ohne detailliert informiert zu werden, einen toten Cowboy in der Wüste, der, so die begleitenden Worte, an seinem Penis zu Tode geschleift wurde. Aber wie in Ennis Vision zum Tode Jacks, bleiben diese Bilder traumartig entfernt.

Dadurch, dass der Film nun auch die Gewalt gegen Homosexualität (wie die homo-Sexualität selbst) mehr oder weniger verwischt, schafft er doch gerade die diplomatische Basis eines Zusammenkommens. Auf der einen Seite ist der schwule Ennis wie wir und wir sind wie er, auf der anderen Seite hegt Ennis keinen Hass gegen uns, denn wir müssen uns nicht in beschämender Weise den Spiegel unserer homophoben „Vergangenheit“ vorhalten lassen. Stattdessen sehen wir solche Akte an sich als verklärt, als weit von uns entfernt, als das Andere.

Verbrüderung durch Gewalt

Mendelssohn weißt darauf hin, dass der Kurzgeschichte von Annie Proulx auf die dieser Film basiert, zwei Szenen hinzugefügt wurden. Die eine, in der Jack es schafft, durch verbale Gewalt, sich gegen seinen Schwiegervater durchzusetzen, beim Thanks Giving Essen. Die andere, in der Ennis zwei Rowdies verprügelt, die sich in Gegenwart seiner Familie obszön verhielten.

Beide Male stehen die beiden ihren Mann und lassen gar nicht erst den Gedanken aufkommen, ein schwuler Mann stünde einem heterosexuellen in irgendetwas nach. Und dies gilt eben auch für „Cowboys“. Hier hat also Ang Lee persönlich Hand angelegt und es ist meines Erachtens recht deutlich zu erkennen, warum. Wenn es nicht die Sexualität ist, welche uns der Film lässt um die beiden als anders zu erkennen, so könnte man sie immer noch als verweichlicht schikanieren. Vermutlich wird deshalb, wie oben bereits erwähnt, derart vorsichtig mit Zärtlichkeit zwischen den beiden Umgegangen. Also betont Ang Lee, über die stark körperliche Bindung zwischen den beiden hinaus, ein weiteres Mal ihre Härte als Männer. Allerdings muss nun darauf hingewiesen werden, dass sich hier eine Kluft auftut zwischen Jack und Ennis. Wo Jack sich mental durchsetzten kann, er ist es ja auch der seine Homosexualität akzeptiert hat und sich den Gefahren des Lebens stellt, wird Ennis durch seine psychische Unterdrückung zur körperlichen Gewalt getrieben, sei es nun gegen diese Rowdies, gegen eine Wand, gegen einen unbeteiligten Autofahrer oder gegen Jack. Eine gewagte These wäre nun, wieder genau in dieser unterdrückenden Selbstdisziplinierung der heterosexuellen Gesellschaft, die Homosexualität als Konsequenz zu betrachten. Dass Ennis also, durch psychische Zwänge mehr und mehr körperliche Ausflüchte sucht, welche sich im Film über eine homosoziale Bindung zu Jack mehr und mehr zur Homosexualität verwandeln. Diese These ist gewagt, weil sie ein Zirkelschluss ist. Es stellt sich die Frage, was war zuerst, die Homosexualität in Ennis und deswegen die Unterdrückung, woraus die starke Körperlichkeit resultiert, oder aber die Disziplinierung der Gesellschaft (mit der Prämisse eines entsexualisierten Verhältnisses zwischen Männern), welche letztendlich zur Homosexualität führt. Hier zeigt sich gleich auf welch kritisches Terrain ich mich begebe, würde doch gleich wieder versucht werden, eine Hierarchie zwischen Homo- und Heterosexualität aufgemacht werden. Ich will hier nicht die Homosexualität erklären, aber in Ahnlehnung an Sedgwick/Butler bleibt festzuhalten, dass Homo und Heterosexualität nicht getrennte Wege gehen, so auch nicht in Ang Lees Film.

Warum diese Annahmen stimmen sollen

Es ist nicht einfach zu behaupten, dass durch eine solch artige Ausrichtung des Films gleich gewährleistet sein muss, dass sich der Film in heterosexuellen Kreisen Sympathie schafft. Fakt ist aber, das der Film solche, die Sexualität meist negierende und das Schwulsein als Anderssein verleugnende Tendenzen aufweist. Fakt ist auch, dass der Film sehr positiv von der Mehrzahl der Zuschauer aufgenommen wurde, und die Mehrzahl bezeichnet sich selbst als heterosexuell, was auch immer das bedeuten mag sei dahingestellt. Es geht aber weniger darum, Empathie zu kreieren, um dann den Anderen besser zu verstehen. Der Film versucht nicht, den Anderen als solchen im neuen Licht zu zeigen. Vielmehr wird der Andere zum Selbst. Das entscheidende Mittel ist nicht, dass eine Gewalt von außen versucht ihr Glück zu brechen, vielmehr ist es die disziplinierende Macht in Ennis selbst, welche den beiden ein zusammen sein verbietet. Ennis bewegt sich im gleichen Diskurs wie alle. Folglich ist diese Gewalt von außen fast verschwunden, und diese Gewalt von außen ist nichts anderes als der Druck der heterosexuellen Gesellschaft, unserer Gesellschaft. Wir, oder das was die Mehrzahl der Zuschauer als wir bezeichnen müsste, sind nicht die bösen, vielmehr ist Ennis auch Teil von uns. Der Konflikt, bestehend aus den Opponenten Homo und Hetero, wird nicht zwischen Menschen ausgetragen, es ist alles in Ennis, und somit auch alles in uns und folglich innerhalb unserer Gesellschaft. Genau jene Aussage von Zizek oder von Sedgwick, dass nämlich die Homosexualität als solche erst geschaffen wird durch die Heterosexualität oder anders herum, ist der Kern von Brokeback Mountain, das extrapolierte Kontinuum zwischen Männerfreundschaft und Homosexualität wird gewissermaßen substantiell geschlossen.

Wenn ich behaupte es sei ein hetero und kein homo Film, auf was beziehe ich mich dann? Es geht nicht darum statistisch zu erheben, wie Zuschauer Filme bewerten, es geht nicht um einen Inhalt des Films, es geht auch nicht darum, das entscheidende Kriterium eines homo oder hetero Films herauszuarbeiten. Nein, denn das wäre gar nicht Möglich, können die beiden doch gar nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Stattdessen setzte ich hetero als Schlagwort der gesellschaftlichen Mehrheit, der Gesellschaft und ihren Funktionsweisen an sich. Mann könnte es auch grün nennen, denn mit der Bezeichnung hetero soll keinerlei Vorrecht welcher Art auch immer manifestiert werden. Der Film passt sich also der Gesellschaft an, indem er den Akt des Anpassens selbst thematisiert. Deswegen nenne ich den Film heterosexuell. Das Gegenstück hierzu wäre nicht homosexuell, sondern queer. Und queer wäre dieser Film, wenn er eine Weigerung verkörpern würde, einen neuen Weg eröffnen würde. Aber darum gerade geht es ja in diesem Film nicht, es geht nicht um den Anderen, sondern um das Wir.

Scham und Queer

In dem Aufsatz „Queere Perfromativität“ führt Sedgwick Scham als ein Grundlegendes Merkmal für ihre Theorie von Queer ein. Die Scham, so Sedgwick, entstanden aus dem Abbruch der Kommunikationssituation, also einem fehlenden Feedback vom „Anderen“, wird zum Konstituenten einer Identität an sich, jedoch ohne diese zu bestimmen oder festzulegen. Die Scham beziehe sich auf was man ist, nicht was man tut, schafft also ein Sein, eine Identität, jedoch ohne festen Inhalt. Das „shame on you“ löscht das Ich aus und projiziert die Scham auf ein  Du, welches eigentlich ein verschobenes Ich ist. Queer nun kann definiert werden, als ein „Sinn und Sein“ gewinnen, durch Bezugnahme auf den Affekt Scham und sein Stigma. Den (queeren) Charakter nennt Sedgwick unter anderem eine Liste der individuellen Geschichte, in der Scham eine dauerhafte strukturelle Veränderung der rationalen und interpretativen Strategien gegenüber dem eignen Selbst und den Anderen eingerichtet hat . 12

Scham ist also konstruktiv und dekonstruktiv, schafft das Ich und löscht es gleichzeitig als etwas festes aus. Es handelt sich um einen performativen Akt, der an sich queer ist.

Scham in Brokeback Mountain ist vor allem Ennis. Er ist der Prototyp eines Trägers des Stigmas Scham. Er schämt sich, als er zu Jack ins Zelt kommt, er schämt sich, als während ihrer ersten gemeinsamen Nacht ein Schaf gerissen wird, er schämt sich, als ein Passant seine Verzweiflungsattacke auf offener Strasse beobachtet, er schämt sich vor seiner Frau als diese Ihn zur Rede stellt usw. .

Seine eingeschränkte Gestik und Mimik, seine spärlichen Worte, alles weist auf Scham hin. Begegnet wird dieser Scham im Fall von Ennis mit Gewalt. Signifikant sind die Worte, die er gegen Ende zu Jack spricht, er sei nichts mehr. Ennis passt in kein Schema, und er weiß es. Deswegen fühlt er sich als nichts. Nicht als Ehemann, nicht als Schwuler, nicht als Vater, nicht als gewalttätiger Rowdie, nicht als zärtlicher Liebhaber. Nichts von alle dem ist Ennis, und doch ist (tut) er all das. Sein Problem ist aber, dass er nicht bereit ist, oder es nicht kann, all dies unter einen Hut zu fassen und dafür Einzustehen. Ennis erkennt seine performative Identität nicht an, und deswegen bleibt nur das Nichts. Er gewinnt nicht die Distanz seine eigene Performanz als solche zu erkennen, er kann weder Sinn noch Sein daraus ableiten. Er sieht keinen Sinn in einem Leben mit Jack und verliert somit sein Sein. Für ihn bleibt die Identität las leerer Behälter bestehen, ohne ihn füllen zu können, weil er zu sehr in einer Welt von Kategorien verhaftet bleibt. Auch wenn Ennis prädestiniert zu sein scheint für eine queere Person, ja auch wenn er queer ist, so ist er dennoch nicht bereit dies zu leben und flüchtet sich stattdessen in Gewalt. Aber auch die Gewalt selbst ist eine Rolle, aber eben eine blinde, ignorante, die letztendlich nie subversiv sein kann, zumal sie doch erst durch die gesellschaftlichen Zwänge entsteht. Deswegen sehe ich in Ennis, bis zur letzten Szene vielleicht, keine queere Person, und der vorangegangene Text dieser Arbeit zeigt ja auch, dass der Film Ennis zu sehr als eine dem vorherrschenden Gesellschaftsdiskurs angepasste Person zeichnet. Ennis ist auf halbem Wege stehen geblieben. Und deshalb kann sich dieser Film dem heutigen Gesellschaftsdiskurs erst so erfolgreich anpassen.

Es werden zwar die Knackpunkte zwischen Gesellschaft und Queer herausgearbeitet, aber gerade der Umstand, dass dies Anlass zur Normalisierung wird, der Umstand, das Ennis erst in der letzten Szene seine Unterdrückung überwindet, seine Scham öffnet, disqualifizieren den Film als queer. Dieser Film handelt nicht vom Leben des Ennis nach dieser Szene, es handelt vom Leben davor. Deswegen funktioniert es so gut als Übergang. Und es entsteht fast der Eindruck, als würde Ang Lee diese letzte Szene und die Bekenntnis zur Homosexualität instrumentalisieren, in dem Sinne, dass sie keinen „Martyrer“ schafft, sondern das Gefühl der Auflehnung dem der Trauer im allerletzten Moment noch beifügt, um die Illusion einer wahren Tragödie entstehen zu lassen, welche angeblich einen neuen Wert vertritt. Aber wie gesagt, davon handelt der Film nicht, es ist eine Illusion. Queer in Brokeback Mountain bleibt eine Illusion. So kann Lee Homosexualität normalisieren und dennoch, sozusagen mit dem letzten I-Tüpfelchen, einen Schuss illusionärer Queerness mitgeben.

Was Ennis queer macht, ist wenn überhaupt, dann nicht seine Sexualität, sondern seine Scham. Es ist gut denkbar, dass seine Sexualität verantwortlich war, für diesen Abbruch der Kommunikation mit seiner Umwelt, was die Scham entstehen ließ, vielleicht war es auch nur der Umstand, keine Eltern mehr zu haben und auf andere Angewiesen zu sein13, vielleicht war es auch etwas ganz anderes. Ich denke, man muss sich hier keineswegs festlegen.

Dennoch findet kein queerer Umgang mit der Scham statt. Die Kommunikationssituation beleibt abgebrochen, Ennis bleibt der zurückgezogene Cowboy, die Identitätsstiftende Kraft der Scham wird nicht erkannt, stattdessen erkennt Ennis nur das leere Gefäß des Andersseins, ohne es als Gewinn zu betrachten. Vielmehr stößt er das Anderssein von sich. Dies alles natürlich nur bis zur letzten Szene, wo die Kommunikation ja in Form eines Briefkastens Musterhaft wiederhergestellt wird. Und mit diesem meisterhaften Griff hat Ang Lee, der auch Sedgwick gelesen hat, wie es scheint, alle bedient und selbst die krassesten Gegensätze vereint – im Film zumindest.

Schluss

In und durch jede Gesellschaft walten Mächte, die diese Zusammenhalten, die Sicherheit garantieren aber auch disziplinieren. Brokeback Mountain nimmt Homosexualität mit in die Gesellschaft auf, jedoch werden immer andere „Feindbilder“ des Außen bestehen bleiben, über die sich die Gesellschaft, wie jede Identität, ja erst definieren kann. Der Homosexualität wird also die Querness genommen, und wenn sich dies über die Jahre vom Film auf die Gesellschaft überträgt, so wird sich bald herausstellen, wie Fundamental der Einfluss der Sexualität auf die Gesellschaft ist. Denn wenn Homosexualität gleichberechtigt neben Heterosexualität existieren kann, ohne die Gesellschaft subversiv zu unterwandern und Sinn zu entleeren, wird Sexualität nicht der springende Punkt sein. Aber dies kann ich nicht wissen. Oder aber es werden einfach neue Unterdrückungsmechanismen entstehen, welche vielleicht weniger Homosexualität im speziellen, als Sexualität im Allgemeinen betreffen, wovon sich Homosexualität bisher durch ihren queeren Charakter distanzieren konnte.

Möglich ist auch, dass, sollte diese Koexistenz nicht funktionieren, dies nur an der Art der gesellschaftlichen Zusammensetzung liegt, dem patriarchalen System. Aber es bestünde in diesem Falle noch eine weitere Möglichkeit, nämlich dass es gar kein gesellschaftliches System geben kann, welches den Zusammenschluss sich tatsächlich ausschließender Komponenten (sofern die Hetero-/Homosexualität dies ist) ohne Unterdrückung an sich ermöglichen könnte, so wie es in der heutigen Gesellschaft kaum mehr Möglich scheint, im Hinblick auf terroristische Bedrohungen, die Sicherheit einerseits und die Freiheit der Bürger andererseits aufrecht zu erhalten. Sicherheit und Freiheit schließen sich aus, und so wird immer eine Disziplinierung und Unterdrückung weiter bestehen, sofern versucht wird, beidem Gerecht zu werden. Sicherheit aber bedeutet Abgabe von Freiheit und Freiheit Abgabe von Sicherheit. Gilt gleiches im Hinblick auf die Sexualität? Ich befürchte ja. Deswegen erscheint es mir in Brokeback Mountain auch sehr sinnvoll, den Konflikt psychologisch zu internalisieren, denn letztendlich ist es doch ein innerer Konflikt. Die Gesellschaft ist auch eine kollektive Identität, jedes Individuum ist eine Identität, und die Identität grenzt sich ab. Allerdings kann sie nicht überwunden werden, denn das Subjekt erst macht uns zu dem was wir sind. Den Konflikt zu überwinden bedeutet sich auf die Mille Plaetaux zu begeben. Erst wenn wir keine Menschen mehr sind, sind wir frei, aber was bedeutet die Freiheit dann?

So verzichten wir also auf Freiheit, unterdrücken Sexualität und viele andere Dinge auch, und finden Gefallen am Drama Leben und am Drama Brokeback Mountain.

Literatur

BROKEBACK MOUNTAIN

Regie:             Ang Lee

Drehbuch:       Larry McMurtry

Diana Ossana

Produktion:     Diana Ossana

James Schamus

Nach einer Kurzgeschichte von Annie Proulx

USA 2005

Mendelsohn, Daniel: An Affair to remember, The New York Review of Books, Volume 53,      Number 3, 23.2.2006; http://www.nybooks.com/authors/131

Zizek, Slavoj: Homophobes Rodeo “Brokeback Mountain” oder: Nur schwule Cowboys erden siegen, Frankfurter Rundschau Online, http://www.frankfurter-rundschau.de/in_und_ausland/kultur_und_medien/film/?em_cnt=823362&em_cnt_page=1

Sekundärliteratur

Benjamin Kempas, Student HFF München, „Breaking the Waves bricht die         Sehgewohnheiten“, kleine Studienarbeit, 1997

Scheler, Max – Grammatik der Gefühle, 2000, Kap. Zum Phänomen des Tragischen, DTV,        München.

Sedgwick, Eve Kosofsky: Queere Perfromativität: Henry James’ The Art of The Novel, in         Outside, Die Politik queerer Räume, M. Haase, M. Siegel, M. Wünsch (HG), bbooks,   2005

Sedgwick, Eve Kosofsky: Between Men, English Literature and Male Homosocial Desire,         Columbia University Press, New York 1985

Waldenfels, Bernhard: Grundmotive einer Phänomenologie des Fremden, Frankfurt/Main:         Suhrkamp, 2006



 

  1. Mendelsohn, An Affair to Remember, Absatz 2
  2. Ebenda
  3. Kempas, Benjamin: Kleine Studienarbeit
  4. Waldenfels, Bernhard, Grundmotive einer Phänomenologie des Fremden, Seite 118
  5. Sedgwick, Eve: Queere Performativität
  6. Sedgwick, Eve: Between Men, Seite 14/15
  7. Ich versteh unter Normalisierung immer Unterdrückung, nämlich das einpassen wie auch immer gearteter dynamischer Gegebenheiten/Ereignisse in eine starre Norm. Dies würde ich weitgreifend philosophisch/physikalisch begründen, und zwar dahingehend, dass eine Ordnung wie sie die Normierung vorschreibt, so tatsächlich nur als geistiges Abstrakt besteht, also jeglicher Materialität, und deswegen ja auch Bewegung/Dynamik entbehrend, entsagt. Die Welt ist aber kein Computer in dem es nur 0 und 1 gibt. In der Welt gibt es z.B. auch die Heisenberg’sche Unschärferelation, also einen gewissen Zufall, der nur nach Wahrscheinlichkeiten geordnet werden kann. Ohne diesen, wäre wohl alles Sein determiniert, wovon die Ordnung stillschweigend ausgeht, immer wenn sie nicht zugibt nur eine der Willkür unterworfene Interimslösung zu sein, wie im Falle von der Homosexualität als Krankheit.
  8. Sedgwick, Eve: Between Men, Seite 2
  9. Interessant ist zu Erwähnen, dass eine Zuschauerin zu meiner rechten sich lautstark beklagte, dass nichts zu sehen sei. Nach Beendigung des Films sah ich diese Zuschauerin mit ihrer Partnerin Hand in Hand und sich küssend neben mir sitzen. Eine ähnliche Äußerung bezüglich Sex im Film erlebte ich in der letzten Berlinale bei der Gewinnerrolle der Teddy Kurzfilme, als die Moderatorin sich beim schmunzelnden Publikum dafür entschuldigte, dass diesmal leider sehr wenige Titten und nackte Haut zu sehen seien. Ist dies ein Indiz dafür, dass bisher als homosexuell rezipierte Filme, immer auch sexuelle Filme sind, und spricht dies nicht dafür, das Brokeback Mountain sich hiervon abgrenzt?
  10. Die dritte körperlich aktive Szene der beiden findet bereits lang nach ihrer Scheidung statt, als ihn seine Frau an Thanks Giving mit der Wahrheit konfrontiert. Ähnlich Szenen gibt es auch mit Jack, doch diesmal kann Ennis nicht einfach zuschlagen. Er packt seine Frau an Armen und Schultern, doch dann lässt er von ihr ab und verlässt wortlos das Haus. Wieder zeigt sich das Anderssein von Ennis als Folge eines vertrauten Gleichseins, der „urmännlichen“ Kraft des Maskulinen.
  11. Seines homophoben Vaters, der so starrsinnig in seinem Leben war, dass er es nicht schaffte die einzige Kurve auf 42 Meilen zu nehmen und so mit dem Auto verunglückte.

  12. Segwick, Eve: Queere Perfromativität, Seite 33
  13. In einem Gespräch auf dem Brokeback Mountain verrät er Jack, dass er, seit sein Bruder verheiratet ist, überflüssig geworden ist auf dessen Farm. Ennis wurde nach dem Tod der Eltern herumgereicht.
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