Die Liebenden – Von der Last, glücklich zu sein (2011)

Die Liebenden PosterVieaux Vague: Hurendasein, Erinnerungsliebe und kompromisslose Konsequenz.

So alt ist Regisseur und Drehbuchautor Christophe Honoré noch gar nicht, als dass man von ihm einen Film erwarten möchte, der Liebe über Jahrzehnte und gar Generationen hinweg zu begreifen versucht. Und was er dabei geschaffen hat ist ein Monster. Inhaltlich, stilistisch und dramaturgisch präsentiert sich DIE LIEBENDEN – Von der Last, glücklich zu sein als ein zerrissenes Etwas mit schönen Augen und einem hässlichen Maul, in das der Zuschauer konsequent zu blicken gezwungen wird. Wer den Weg der Passion geht in Honorés Welt, der wählt eine Liebe jenseits der Gesellschaft, jenseits des Lebens gar. Ehrlich bis rücksichtslos – wie seine Protagonisten – rennt der Film der Idee einer Liebe nach, deren seltenes Gelingen bereits in der Gegenwart wie Erinnerung schmeckt, so perfekt, so ideal und so stilisiert. Egal wie klein solch ein rücksichtsloses Daseins die Schlupflöcher für dieses affektive Verlangen über die Jahre hin macht, sie werden konsequent genutzt, immer und immer wieder, wie alte Bremsen, bei denen sich längst das Eisen mit lautem Kreischen in die Scheiben frisst. Aber die Figuren bleiben ihrer Liebe treu. Vernunft, Kalkül, Moral und andere zivilisatorische Daumenschrauben lässt der Film nicht gelten und fährt weiter, erbarmungslos, mit Vollgas und kaputten Bremsen…

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Als die Koketterie noch mehr glänzte als der Autolack: Die leichtfüßige Sagnier umspielt den rauen Radivoje Bukvic.

Madeleine (Gibt es einen Namen, der mehr für die Erinnerung steht als dieser?) entscheidet sich Hure zu werden, von einem Moment auf den nächsten, im Nebenjob. Old Fashioned bis ins Detail startet der Film in den 60ern mit der Bilderbuchfranzösin Ludivine Sagnier, die sich in ihren Freier Jaromil (Radivoje Bukvic) verliebt, dem sie schließlich von Paris in seine Heimat nach Prag folgt, wo Tochter Vera geboren wird. Mit gesungen gespielten Liedern, der Anzahl nach schlimmer als in einem Bollywood Film und als französische Chansons gehalten, scheint der Film der Bekundung von Emotionen eine arg oberflächlichen Anstrich zu geben. Im Laufe der Zeit werden diese schmerzfreien Erinnerungspausen aber immer mehr zum trostspendenden laissez-faire, das unvorsichtig, mutig und kitschig das Gute an die Wand malt, wo die Trauer die Pausen zwischen den Liedern immer mehr zu erobern droht. Ihre Reize als kokette, leichte Frau versagen bald bei Jaromil, der nicht minder äußerlich ist und wie Madeleine zu aller erst seinen Instinkten folgt. Ganz nebenbei rollt noch der Prager Frühling durch den Film und Madeleine hat bald genügend Gründe, das Weite zu suchen. Ganz wird sie aber nie von Jaromil loskommen, der sie mit all seiner egoistischen Unvernunft weitaus mehr fesseln kann, als ihr zweiter Mann (Guillaume Denaiffe), dessen Toleranz und Vernunft Madeleine zusetzt. Freiheit schadet der Liebe, lässt Honoré resumieren und macht keinen Hehl aus der Schwere der Gefühle, welche auf die Leichtigkeit des Seins folgt – die Nähe zu Milan Kundera scheint nicht zufällig.

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Lieben aneinander vorbei: Mastroianni und Paul Schneider.

Diese Spiel wiederholt sich in ungleich höherem Tempo, mit weitaus weniger Glücksgefühlen und viel unnachgiebigerer Konsequenz für Madeleines erwachsene Tochter Véra (Chiara Mastroianni), als diese auf den Musiker Henderson (Paul Schneider) trifft, dessen Ehefrau im Geiste sie wird – nur im Geiste. Die Liebe schlägt alles um sich herum kaputt, lässt alles zerbrechen und wird selbst kalt gelassen – vom Geliebtsein wie vom Geliebten. Manche Szenen erreichen in ihrem skizzenhaften Ablauf bestenfalls sequentiellen Charakter, es wird geredet und geredet wie zu besten Zeiten Godards, dann aber gelingt der Dramaturgie wieder ein Eintauchen in die Echtzeit und eine Flucht aus dem ewigen Philosophieren und Erinnern. In jenen Momenten spielen Mastroianni und Schneider sowie Sagnier und Bukvic groß auf, nur um im nächsten Moment von einem weiteren Chanson gebrochen zu werden. Derart verfremdet scheint es, als belachten und beweinten sie sich selbst in diesem ewig aussichtslosen Spiel, in einer Art Erinnerung an sich selbst, die von der Mutter über die Tochter läuft.

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Die gealterte Madeleine (Catherine Deneuve) trifft auf Tochter Véra (Chiara Mastroianni)

Erinnert wird auch an die Nouvelle Vague, an Filmdiven und Unbeschwertheit. Was ist die Erinnerung an Glück, würde Chris Marker fragen. Glück? Was nutzt die Liebe in Gedanken, titelt ein anderer Film. Paradox ist, dass gerade die bedingungslose Körperlichkeit mit all ihrer leichtfüßigen Oberflächenliebe und scheinbaren Gedankenlosigkeit die schwersten Überlegungen und die wehmütigsten Gefühle erzeugt. Das zeigt DIE LIEBENDEN in jedem Aspekt seiner ebenfalls paradoxen Machart. Damit kommt er fast zum gleichen Schluss wie BLUE VALENTINE, nur dass er nicht den Weg des Realismus, sondern des Desillusionismus geht, in dem immer auch die Illusion steckt. Dabei kommt Sagnier der Illusion der personifizierten Liebe sehr nahe und auch Paul Schneider fasziniert auf  hohem Niveau. Allein der beiden wegen sollte man sich die unendlichen 2 Stunden und 20 Minuten mit all den zu Beginn schräg anmutenden Liedern und einem ästhetischen Overkill von den 60ern bis ins heute antun. Wer über Nostalgie, Schwermut, Schwelgerei und Musicalfilm hinwegsehen will, kann zwar im Film immer noch allerhand finden, wird aber vielleicht nicht begeistert sein. Ein Monsterfilm eben…

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Frech n’french: Ludivine Sagnier

Ähnliche Filme:

Blue Valentine

Information:

Franz. Titel: Les Bien-Aimés

Frankreich 2011

Dauer: 145 Minuten

FSK: 12

Regie: Christophe Honoré

Drehbuch: Christophe Honoré

DoP: Rémy Chevrin

Musik: Alex Beaupain

Darsteller: Catherine Deneuve, Ludivine Sagnier, Chiara Mastroianni, Louis Garrel, Goldy Notay, Milos Forman, Kenneth Collard, Paul Schneider

Genre: Liebesfilm, Musikfilm, Tragödie

Im Kino: 03.05.2012

Im Web:

Die Liebenden in der IMDb

Bilder und Trailer zur Filmkritik von Die Liebenden auf der offiziellen Website

Copyright Bilder und Trailer: Senator

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