The King’s Speech – Die Rede des Königs (2011)

The Kings SpeechFeines und hervorragend gespieltes psychologisches Drama mit psychoanalytisch-schauspieltheoretischem Lösungsansatz, historischer Kulissenkulisse und wenig Handlung.

Es ist neblig in London. Die heikle Weltpolitik am Vorabend des zweiten Weltkriegs zeichnet sich ebenso undeutlich ab wie die Konturen der Stadt, weswegen sie lediglich das Podium gibt, von welchem aus THE KINGS SPEECH spricht. Die Hofgesellschaft, die Königsfamilie, die Kleider und das ganze historische Setting: Nichts als Kulisse. Spannung, überraschende Wendungen, vertrackte Handlung: Nichts. Die erste Szene bringt es bereits ziemlich deutlich auf den Punkt, wo dieser Film anecken will. Albert (Colin Firth), Sohn des Königs und Bruder des Thronfolgers, soll eine große Rede halten. Die Menschenmassen warten gespannt, das Radio überträgt live, doch er kann nicht und stottert nur. Der einzig ernst zu nehmende Konflikt dieses Filmes taucht hier schon auf und existiert allein im Kopf des Protagonisten. Dieser findet sich bald darauf überraschend als King George VI. auf dem Thron des Empires wieder, steht einem Krieg gegenüber und darf sich vor allem eines nicht erlauben: Zu schweigen.

Der politische Rahmen, die Ehrfurcht vor König und Historie, um all dies geht es nicht. Wäre dies aber die Geschichte irgendeines Mannes gewesen, der es sich vielleicht genau so wenig leisten kann zu stottern – es wäre ein ganz anderer Film geworden. Dabei zehrt der Film nicht bloß vom Schauwert des Königs und seines Umfeldes, sondern bricht die Ehrfurcht vor dieser sakrosankten Figur ins Triviale und lebt dann von der Stilisierung dieses ins Triviale gebrochenen Sakrosankten, was freilich nie ganz trivial wird, weil es durch seinen Ursprung und eben der Brechung dieses Ursprungs erst recht Sonderstaus erlangt, ähnlich dem urinierenden Prinz August. Was in THE KINGS SPEECH gebrochen wird, ist letztendlich die psychische Barriere Alberts, doch dafür muss er erst aufs Parkett der Normalsterblichen hinabsteigen. Diese Bretter, die die Welt bedeuten, stellt ihm Lionel Logue (Geoffrey Rush) zur Verfügung, sein ganz und gar unkonventioneller Logopäde.

In einem Wechsel aus Freud’scher Talking Cure und Meyerhold’schen Biomechanik wird der zukünftige König so Stück für Stück zum Sprechen gebracht, manchmal auch zum Singen, im doppelten Wortsinn. Dabei enthüllt die Psyche des angestrengten Edelmanns trotzdem keine besonderen Geheimnisse, bestenfalls Andeutungen werden gemacht. So gilt es am Ende lediglich die Art von Angst zu überwinden, die manche Lampenfieber, andere Erwartungsdruck nennen, was den Film in die Nähe von Jugend- und Sportfilmen rückt, wo ebenfalls durch eine psychologische Wandlung die zuvor vergeigte Prüfung bestanden werden muss. Dieser ganz flüchtige Einblick, den das englische Königshaus mit diesem Film erlaubte, verrät also nicht mehr, als was die Welt schon seit dem echten George VI. bzw. spätestens seit Lady Diana weiß: Die Herrschaften sind auch nur Menschen, sie stehen unter großem Druck und geben ihr Bestes, dem Volk ein gutes Oberhaupt zu sein.

Jedoch auf ganz andere Weise gibt sich der Film sehr offen: „Sie haben uns zu Schauspielern gemacht!“, lässt King George V. konsterniert seinem Sohn gegenüber verlautbaren, nachdem er eine Weihnachtsansprache im Radio verlesen hat. Damit trifft er den Nagel auf den Kopf, weswegen die historische Kulisse von THE KINGS SPEECH gleich eine doppelte Kulisse ist. Und eben dieses von ihm erwartete Spiel ist es, das Albert den Hals zuschnürt. Anders als bei seinem Bruder lastet der Druck der Erwartungen schwer auf ihm und führt zu einer psychischen Abschottung, wodurch der von ihm ersehnte Durchbruch beim Sprechen genauso einem Einbruch seiner – und in seine – Persönlichkeit gleichkommt. Was Colin Firth nun auf unnachahmliche Weise in den vielen Zusammentreffen mit seinem nicht minder begabten Schauspielerkollegen Geoffrey Rush darstellt, ist der Versuch eines Mannes, sein eigenes Schauspiel zu finden, seine eigene Stimme, die dem ganzen Budenzauber um König und Krone etwas Ehrliches verleiht, etwas Wahrhaftiges. Letzteres erinnert nicht zufällig an die Schauspielschule von Stanislawski, denn das Zusammentreffen der beiden Schauspieler im Probenraum der Figur Logue stellt sich letztendlich als nichts anders heraus, als die Suche nach der Wahrhaftigkeit im falschen Spiel. Eben das, was der eigentliche Thronfolger Edward nicht zusammenbringen konnte. Eben das, was einen großartigen Schauspieler ausmacht. Und nun wird auch der Sonderstatus klar, den ein König in dieser Geschichte erlangen kann. Wenn einer von all den Erwartungen und Ansprüchen, die seine Geburt mit sich brachte, so sehr erdrückt wird, dass er als erwachsener Mann stotternd in der Sofaecke kauert, es dann aber dennoch schafft dem Druck die Stirn zu bieten, ohne sich von diesem ängstlichen Mann auf dem Sofa zu lösen, ohne sich in Lippenbekenntnisse zu ergehen und ohne den Eindruck zu erwecken, er tue nur, was von ihm erwartet wird, sondern stattdessen allen ersichtlich wird, wie schwer es diesem Mann fällt zu seinem Volk zu stehen und er es dennoch tut, dann ist der dramaturgische Bogen bis zum Zerreißen gespannt und bräuchte eigentlich auch nicht mehr die feierlich, traurige Musik, die verheißungsvollen Gesichter und diesen deplatzierten Applaus, den THE KINGS SPEECH am Höhepunkt abfeuert. Denn das ist der König, den sich alle wünschen, der Mensch, den es eigentlich nicht gibt, den es zerreißen muss, weil er leer sein muss für die Wünsche seines Volks und zugleich voll, um nicht als Marionette verachtet zu werden.

So sehr dem Stotternden der Rhythmus fehlt, so präzise findet ihn Regisseur Tom Hooper in der Zusammenstellung seiner Szenen, die dem Film Zusammenhalt verleihen, obwohl der Logopäde Logue offensichtlich nur eine von vielen schillernden Gestalten ist, die das Leben des zukünftigen Königs unter Strom setzen. Da sich THE KINGS SPEECH trotz diverser Zeitlücken auf diese eine Beziehung konzentriert, kann sich der Film erst psychologisch entfalten. Deswegen kann aber auch getrost auf eine genauere Analyse der weiteren Requisiten wie Edward, Churchill und Co. verzichtet werden, stellen sie doch nichts anderes dar, als Abbilder des Geists und der Psyche Alberts.

Wenn fest zu stehen scheint, dass Portman oscarreif ist, dann muss dies auch für Firth gelten, der gerade in diesem Film das Schauspiel zelebriert: Stark ohne ignorant zu sein, sicher trotz Schwäche, präzise auch in den Obertönen und sogar noch besser als in A SINGLE MAN. Er wagt den Diderot’schen Spagat zwischen heißem und kaltem Schauspiel und kommt ohne Zerrung davon. Hat er sich am Ende gar selbst gespielt? Ohne Firth und Rush wäre dieser Film sehr mit Vorsicht zu genießen, so aber spielt sich das Große im Kleinen ab, feinfühlig, nuanciert und bewegend. Zwei Plus für diese Leistung.

Information:

Engl. Titel: The King’s Speech

Großbritannien, Australien, USA 2010

Dauer: 118 Minuten

Regie: Tom Hooper

Drehbuch: David Seidler

DoP: Danny Cohen

Musik: Alexandre Desplat

Darsteller: Colin Firth, Geoffrey Rush, Helena Bonham Carter, Guy Pearce, Timothy Spall, Derek Jacobi, Jennifer Ehle, Anthony Andrews, Claire Bloom, Michael Gambon, Eve Best

Genre: Historien, Drama

Im Kino ab: 17.02.2011

Im Web:

The King’s Speech in der IMDb

Bilder und Trailer zur Filmkritik von The King’s Speech auf der offiziellen Website

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