Es wird gewackelt, geschwenkt und gezoomt, als müsste James Ryan gerettet werden, doch am Ende ist nur Jeremy Renner Down – oder doch High? Bemerkenswerter Kriegsfilm.
Meist gibt es in einem Film Handlung, die eine Geschichte erzählt und die Hauptfigur verändert. Es gibt Spannung und Abspannung, Veränderungen, Überraschungen und ein Ende. THE HURT LOCKER will nicht aufhören, der Protagonist verändern sich nicht, die Handlung führt nirgendwo hin und Überraschungen gibt es quasi nicht, denn an ihre Stelle tritt die klassische Suspense nach Hitchcock: Wann geht die Bombe hoch? Die Entspannungsphasen fallen hierbei vergleichsweise kurz aus, dafür umso intensiver. Wie im Krieg.
Genauer gesagt wie im Irakkrieg, wo ein Team von drei amerikanischen Soldaten des Bombenräumkommandos ihren Dienst tut. Der alte Gruppenführer wurde gerade von James (Jeremy Renner) ersetzt, einem wilden Adrenalin Junkie, der gerne auch mal auf seinen Sicherheitsanzug verzichtet und Bombenteile als Souvenirs unter seinem Bett stapelt. Sein Minimumeinsatz ist immer das Leben, darunter kommt er nicht ins Spiel. Anders sein Kamerad Sanborn (Anthony Mackie), der krampfhaft an militärischer Disziplin festhält, um mit Gewalt am Leben zu bleiben. Um das psychologische Kaleidoskop zu vervollständigen setzt Regisseurin Bigelow den beiden erfahrenen Soldaten noch eine Rookie mit ins Boot. Eldridge (Brian Geraghty) ist der Ängstliche, der regelmäßig den Militärpsychiater aufsucht und nicht verstehen kann, warum er sich töten lassen muss.
Diese drei Testpersonen wirft THE HURT LOCKER ein ums andere mal in Gefahrensituationen. Eine Bombe nach der anderen muss entschärft werden, und dann noch eine und noch eine. Eldridge zählt akribisch die Tage bis zur Ablösung und verwandelt sich mit seiner Nervosität selbst in eine tickende Zeitbombe. James freut sich über kniffelige Auslösemechanismen und Sanborn‘s Moral zerbricht zwischen den beiden Extremen. Der Film nimmt dabei eine beobachtende Haltung ein, als wären es drei Laborratten auf dem Prüfstand. Während James an der Bombe arbeitet beobachtet Sanborn die umliegenden Häuser und sucht Scharfschützen. Die Kamera beobachtet nun Sanborn aus der Perspektive der Iraker in den umliegenden Häusern und ebenso die Iraker aus welcher unmöglichen Perspektive auch immer. Stets ist sie irgendwo versteckt, lugt durch, zoomt ran, schwenkt umher und wirkt wie tausend Augen, die alles verfolgen und stets Nervosität und Unbehagen in die Szenen bringen. Währenddessen tickt die Bombe, die Nerven liegen blank. Nur nicht bei James, der es sichtlich genießt. Er verkörpert das, was der Film in Form eines Zitates des Kriegskorrespondenten Chris Hedges zu Beginn ankündigte: Krieg ist eine Droge. Abends in ihrer Kaserne fühlen sich die drei Soldaten dann, als hätten sie eben die Abiturprüfung bestanden, jeden Tag aufs Neue.
Mit Realitätsnähe haben derlei Kameraperspektiven und die mitunter extrem hohe Schnittfrequenz meist weniger gemein, aber was ist schon Realität? So scheut der Film auch nicht davor zurück, vergleichsweise harmlose Momente stilistisch zu pushen, um ja keine Langeweile aufkommen zu lassen. Stets muss das Adrenalin auf der Zunge zu schmecken sein, so lautet die Devise, was den Film in vollkommene Opposition zu Terrence Malick‘s kontemplativen DER SCHMALE GRAT stellt. Dabei wird pausenlos ums nackte Überleben gefiebert, das und nicht mehr ist die ganze Story. Es gibt keine strategischen Hügel, keinen patriotischen Sergeant, keinen Krieg zu gewinnen. Ganz Bagdad verkommt zu einer römischen Arena voller Zuschauer, die täglich mit stockendem Atem den Dreien beim Bombenräumen zusehen. Bigelow präsentiert drei konträre Reaktionen auf dieses Szenario, beißt sich aber an James fest, der sich daran gewöhnt, dass der ganze Krieg für ihn den Atem anhält. Was hat so einer noch in der normalen und mit unwichtigem Krempel vollgestopften Welt verloren? Philosophischen Weitblick lässt THE HURT LOCKER bei seinem Actionhelden nicht zu. Statt Umwertung aller Werte, Grenzerfahrung und Liebe für das Leben, erkennt James eine ganz andere Liebe. Die Liebe zum Krieg. Und da der Krieg jeden Tag am Leben kratzt, ist er nicht weniger, als eine Beschäftigung mit der Essenz des Lebens selbst. Ein verblüffender, denkwürdiger und guter AntiKriegsfilm.
Preise:
The Hurt Locker gewann sechs Oscars, unter anderem als bester Film und für die beste Regie.
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Information:
Engl. Titel: The Hurt Locker
USA 2008
Dauer: 134 Minuten
Regie: Kathryn Bigelow
Drehbuch: Mark Boal
DoP: Barry Ackroyd
Musik: Marco Beltrami, Buck Sanders
Darsteller: Jeremy Renner, Anthony Mackie, Brian Geraghty, Guy Pearce, Ralph Fiennes, Evangeline Lilly
Genre: Kriegsfilm
Im Kino ab: 13.08.2009
Im Web:
The Hurt Locker in der IMDb
Bilder und Trailer zur Filmkritik von The Hurt Locker auf der offiziellen Website
http://www.youtube.com/watch?v=KwGaE6zDSkg