Über eine große diegetische Zeitspanne hinweg zieht sich DIE KOMMENDEN TAGE mit Figuren und Geschehnissen fast schon epischen Ausmaßes so ausladend dahin, dass auch in Realzeit über zwei Stunden nötig sind, alles durch zu flimmern. Nur handelt es sich nicht um einen Epos und weder Personen noch Emotionen oder Settings befriedigen die Neugier nach der Zukunft. Folglich ist der Film zu langwierig, schafft es trotzdem in vielen Szenen oberflächlich zu sein und beschreibt in seinem Credo eine derart gekrümmte Bahn, dass man an den Flug eines Geschosses erinnert wird: Ballistisch, sprich unaufhaltsam dem Erdboden entgegen.
Aber von Anfang an: Die Welt befindet sich im Krieg um Rohstoffe, Europa zerbröckelt und was davon übrig geblieben ist, hat sich hinter einem großen Wall verschanzt, um sich vor den Flüchtlingsströmen aus Afrika zu retten. Das ist das Ende und der Anfang. Um sich zu erzählen springt der Film zurück in die Zeit, als die Kriege begannen. Angelegt als große Familiengeschichte, unterlässt es die Voiceover Stimme nicht immer wieder zu bedauern, dass die Familie auseinander gebrochen ist. Doch außerhalb der Voiceover gab es gar nie einen Zusammenhalt in der Familie der Schwestern Laura (Bernadette Heerwagen) und Cecilia (Johanna Wokalek). Da gibt es den Bruder Philip (Vincent Redetzki) dessen Existenz im Film dem Versuch geschuldet ist, das Thema Vaterschaft und Krieg zu exemplifizieren, was mehr schlecht als recht gelingt. Dass auf diese Figur auch komplett hätte verzichtet werden können, verrät wie wenig er in Familie und Film integriert ist. Vater (Ernst Stötzner) und Mutter (Susanne Lothar) stehen von Begin an nahe der Scheidung und auch das Verhältnis der verschiedenen Schwestern ist von Anfang an gespalten. Überhaupt kommt das Drama in vielen gestellt wirkenden Familienszenen kaum in Fahrt, eher stellt sich das Gefühl der Peinlichkeit ein. Das verhindern auch die Streicher nicht und es stellt sich die Frage, ob mancher an Sozialrealismus erinnernde Darsteller im falschen Film gelandet ist. Die Inszenierung hilft hier leider kein Stück weiter, will vielleicht sogar peinlich sein und verfolgt auf Figurenebene eine denkwürdige Ästhetik. Einzig Johanna Wokalek ist ein Volltreffer und neben ihr schafft es auch nur der irre August Diehl (der mit Hut Kubricks A Clockwork Orange entsprungen zu sein scheint) konstant glaubhaft zu bleiben, wenngleich dessen Rolle sehr oberflächlich ist.
Dass das Studium der Evolution die Leidenschaft von Laura ist, unterscheidet sie nicht nur stark von ihrer dem gefährlichen Untergrundaktivisten Konstantin (August Diehl) verfallen Schwester Cecilia, es dient auch, wie so vieles im Film, als Wink mit dem Zaunpfahl, um den Film in tiefere geistige Gewässer zu lotsen. Aber den fundamentalistisch, atheistischen Provokationen Konstantins hat Laura doch nichts anderes entgegen zu setzten als die Erkenntnis, dass Konsequenz in Terrorismus endet und man deswegen doch besser das Durcheinander des Lebens als solches akzeptieren solle, soll heißen, lieber wegsehen. Nicht selten entsteht Verwirrung wer oder was nun gerade kritisiert werden soll. Ist es die bornierte Gesellschaft der champagnerschlürfenden Ausbeuter, welche die Energiekonzerne vertreten aber irgendwie trotzdem nicht böse sind? Oder die mit RAF Lederjacken, Hippiekleid und Elektromoderne geschmückten Untergrundterroristen der „Schwarzen Stürme“, die versuchen den Krieg gewaltsam zu stoppen? Möglicherweise ja auch beide Seiten? Auf letzteres deutet der weitsichtige und erblindende Aussteiger Hans (Daniel Brühl) hin, dessen Herz für, wie sollte es anders sein, Vögel schlägt, dem Sinnbild der Freiheit. Die Freiheit ist aber dann nur ein weiteres Vehikel, um zum noch viel schwerwiegenderen Begriff der Liebe überzuleiten, um den es in diesem Film vermutlich letztendlich gehen soll. Sie ist das erste und letzte, was besteht und bestehen bleibt, wenn alles zerbricht. Da der Film diesen Schwerpunkt aber erst über Umwege setzt, geht er über lange Zeit schlichtweg verloren, was den Film ziellos macht. So endet der Versuch der Hauptfigur Laura glücklich zu sein genauso in der Sackgasse, wie der Verzicht auf Glück und Moral der Terroristen.
Die Bedrohung durch Krieg und Ressourcenknappheit bebildert der Film mehr als spärlich und so wirkt es manchmal erstaunlich, woher die Figuren ihr fundiertes Wissen über den Niedergang der Welt eigentlich nehmen, wenn nicht aus dem Drehbuch. Am Ende kann der Film dann aber doch noch einmal richtig Punkten. In einer Art Endzeit Trash Stimmung findet der Show-down in einer Berghütte vor der Kulisse verschneiter Gipfel und auf matschigem Grund statt. Nun passt auch endlich das ständige Endzeitgewackel der Kamera ins Bild. Hier darf Diehl endlich wieder aufbrausen und Brühl Eigenbrötler sein. Für einen Moment wird DIE KOMMENDEN TAGE zu einem anderen Film, nämlich zu einem, der funktioniert, wenngleich dennoch viele Fragen und Unstimmigkeiten zurück bleiben.
Dass Political Correctness in Filmen Fehl am Platze ist, haben die meisten inzwischen kapiert. Deswegen darf DIE KOMMENDEN TAGE so in sich gebrochen durch die Gegend schwadronieren, ganz ohne Correctness, warum auch nicht?! Aber der politische Teil ist nach wie vor ein Kriterium, denn nur so lässt es sich erklären, wie die Zauberworte Krieg um Ressourcen und Europas Zukunft ausreichten einen Film auf die Beine zu stellen, der große Schwächen im Drehbuch aufweist, schwache Charaktere beherbergt, in der Inszenierung holpert und äußerst merkwürdig besetzt ist. DIE KOMMENDEN TAGE ist ein Film gegen die Form, gegen die Emotionen, gegen das Zeigen, gegen das Spiel und für das Thema. Da hilft auch die Starbesetzung nicht. Typisch deutsch.
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Chidren of Men
Information:
Deutschland 2010
Dauer: 125 Minuten
Regie: Lars Kraume
Drehbuch: Lars Kraume
Darsteller: August Diehl, Bernadette Heerwagen, Daniel Brühl, Ernst Stötzner, Johanna Wokalek, Mehdi Nebbou, Susanne Lothar
Musik: Christoph Kaiser, Julian Maas
Genre: Science Fiction, Anti Utopia, Drama
Im Kino ab: 04.11.2010
Im Web:
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