Märchenkrimi: Jack Reacher ist Tom Cruise und Werner Herzog hat kein Messer!
Ein Film, in dem jede Szene cool ist? Zumindest jede mit Jack Reacher. Sogar jede, in denen über Jack Reacher nur geredet wird. Gibt’s doch gar nicht. Doch! Erst glaubt Rodin (Richard Jenkins) auch nicht so recht an Jack Reacher, schon gar nicht, ihn jemals finden zu können. Dann taucht er auf, einfach so. Geht durch eine Tür. Ja, er geht durch Türen. Jack war einmal ein normaler Mensch. Früher. Naja, normal… Militärpolizist, preisgekrönt. Ein ganz Braver von den ganz Schlimmen. Jetzt hat er keinen Wohnsitz mehr, fährt nur noch Bus und wechselt seine Unterwäsche nicht. Wenn er Waschtag hat, darf seine Umwelt seinen harten Narbenkörper bestaunen, in diesem Fall Helen (Rosamund Pike). Sie ist Anwältin und ihr hilft er den Fall eines Heckenschützen zu investigieren. Der Verdächtige Barr (Joseph Sikora) ist ein alter Bekannter von Reacher aus dem Krieg, aber die Sache ist faul.
Regisseur Christopher McQuarrie enthält den Zuschauern nicht lange vor, welches Spiel in JACK REACHER gespielt wird – und gibt damit einen Wissensvorsprung, der in etwa an das kombinatorische Niveau von Jack heranreicht. Er lässt die Bilder gekonnt kadrieren, vergisst nie zu dramatisieren, hat überhaupt ein gutes Gefühl für Spannungen im Bildinhalt. Seinen Reacher zeichnet er mit geballtem Heroismus, an Arroganz grenzender Besserwisserei und einer Selbstsicherheit, die auch eine Atombombe neutralisieren könnte. Chuck Norris muss sich warm anziehen! Und wie bei Chuck Norris, so durchzieht auch bei JACK REACHER bei den dicksten Stellen ein Kichern das Kino, mehr als ein Raunen – wenngleich ein sehr tiefes.
JACK REACHER ist die R(e)ACHE(r), die Gerechtigkeit, die Bestrafung – ganz allein und gegen jeden. Keine Geheimwaffen, kein Agentenkrimskrams, kein Computergenie. Ein kariertes Hemd, zwei Fäuste und ein cleverer Dickschädel. Er muss sich durch den Dreck kämpfen, um ans Ziel zu gelangen, und weist zumindest in diesem Punkt große Ähnlichkeit mit seinem Widersacher auf: The Zec (Werner Herzog) ist ein desillusionierter Schurke, dessen Bosheit nicht aufgesetzt ist, sondern entblößt wurde, nachdem die Menschlichkeit von seinem Körper abgenagt war – zumindest laut seiner eigenen theatralischen Darstellung.
Wie Reacher selbst befindet sich dieser Bösewicht jenseits der Grenze von Realismus und Glaubwürdigkeit, was dennoch freudig geschluckt werden kann. Den Film nach der gleichnamigen Romanfigur JACK REACHER von Lee Child kann man einfach nicht zu sehr ernst nehmen. Er überdreht allzu gerne Coolness und Obskurität, wozu die Gesichter des schelmischen Cruise und des zerfurchten Herzog gut passen. Die Figuren selbst verbleiben hingegen im vollen Ernst, was ihnen ein wenig vom Charme früher Tarantino Protagonisten verleiht. Das Lachen kommt so auch nicht zu kurz und an manchen Stellen wartet JACK REACHER sogar mit Slapstick auf.
Der Film ist mit Tom Cruise gut besetzt, Werner Herzog theatralisiert jedoch etwas stark und Rosamund Pike reißt eine Spur zu oft ungläubig ihre Augen auf – was bei beiden den Eindruck erweckt, sie würden sich nicht in die Rollen versetzen, sondern sich im Spiel der Rollen gefallen. Die zündenden Dialoge halten jedoch zumeist alles gut beisammen. Mit seiner Geradlinigkeit, Aufrichtigkeit und Gerechtigkeit müsste ein altmodischer Held wie Reacher in einem realistischeren Film zwangsläufig zu einem tragischen Helden verkommen. McQuarrie schreibt ein Drehbuch, das vom kriminalistischen Aspekt modernen Ansprüchen gerecht wird, sich aber erlaubt mit Reacher eine Märchengestalt zu erwecken, die sich in der „echten“ Welt durchsetzen darf: Cool, lustig und manchmal einfach nur stinksauer. Das alles zusammen ergibt einen sehenswerten Film, der neben dem oft attestierten „Unterhaltungskino“ mit gutem Sound und starken Bildern auch mit einem ganz eigenen, augenzwinkernden Charme aufwartet.
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