Vor nicht allzu langer Zeit gelang es bereits der Regisseurin Debra Granik in einem Film voll schmutziger Kälte die erschreckende und doch irgendwie versöhnliche Rohheit der menschlichen Natur ans blasse Tageslicht zu zerren. Der Titel dieses Films, der 2010 im Sundance Festival zum besten Film gekürt wurde, lautet WINTERS BONE. Stefan Ruzowitzkys aktuelles Werk COLD BLOOD hat im englischen Original mit DEADFALL einen ähnlich unverblümten Namen, die Temperatur pendelt sich ebenfalls weit unter Null ein und die Figuren bleiben auch hier – trotz großem Versagen – irgendwie menschlich.
Verdichtet auf einen Tag und eine Nacht, schiebt die spannende und stoisch ihrem Rhythmus folgende Story sture Figuren vor sich her, die wie abgeschnitten vom vorherigen Leben in Erscheinung treten. Erst später werden, dramaturgisch geschickt, die entscheidenden Fetzen Erinnerung in die lückenhaften Lebensläufe gesetzt, um stets das emotionale Optimum aus einer ansonsten minimalitisch einfachen Handlung heraus zu kitzeln. Addison (Eric Bana) und Liza (Olivia Wilde) versuchen nach einem Kasinoüberfall in Michigan die kanadische Grenze zu erreichen, doch nach einem Autounfall müssen sie sich getrennt und in gänzlich untauglicher Kleidung durch eine eisige und verschneite Natur schlagen. Jay (Charlie Hunnam) hat den gleichen Weg, denn seine Eltern wohnen nah an der Grenze und auf der Flucht ist auch er. Bald ist die Polizei informiert, die wenigen Anwohner werden alarmiert und die Schlinge um die Flüchtigen zieht sich solange zu, bis sie alle nach Hause kommen, so heimatlos sie auch geworden sein mögen.
Mit mystischer Notwendigkeit lässt der von Zach Dean geschriebene Film gescheiterte Existenzen ihre Pflicht erfüllen, lässt sie Falsches tun, beim Versuch Gutes zu vollbringen und bleibt doch treu an ihrer Seite, egal wie schlimm es wird. Jay und Liza geraten bald intensiver aneinander, als das von beiden geplant war. Über den Körper überwindet dieses vermurkste Paar seelische Abgründe, die doch letztlich körperliche sein müssen, denn in COLD BLOOD stammt alles von der Natur – einer schönen, grausamen, menschlichen Natur. So hat Liebe viel mit Sex zu tun, mit sich nackt zeigen, mit Hosen herunterlassen und verletzlich sein. Rutzowitzky fängt derlei Scham sehr physisch ein, in einer zerbrechlichen Romanze, die mit ihrer sinnlich musikalischen Untermalung zeitweise vergessen macht, in welcher Art von Film man sich gerade befindet.
COLD BLOOD ist kein Thriller und kein Actionfilm, sondern eine Tragödie vor kriminalistischem Hintergrund. Am intensivsten berühren dabei die von Eric Bana glasklar gespielten Szenen als Addison. Erst ganz am Ende gerät Bana etwas zu sehr ins Schwelgen, aber womöglich tut das Addison auch. Genau wie in WINTERS BONE tun in COLD BLOOD merkwürdige Gestalten merkwürdige Dinge, um das fragile Gleichgewicht ihres erbärmlichen Daseins aufrecht zu erhalten, um eine Art Gerechtigkeit geltend zu machen, die brutal ist, gegen jedes Gesetzt verstößt, aber doch meist irgendwie nachvollziehbar und emotional vertretbar bleibt, so grausam sie auch erscheinen mag. Die zwingende Perfektion von Graniks Film erreicht Ruzowitzky dabei nicht, es gelingt ihm aber dennoch mit einem konsequenten Drehbuch und einer nahezu makellosen Inszenierung eine sehr beeindruckende und schwer zu vergessende Stimmung zu erschaffen, bis zur letzten Sekunde.
Nicht zuletzt ist es die tolle Besetzung bis in die Nebenrollen (Kristofferson, Spacek), die COLD BLOOD zu einem Filmtipp macht. Besonders sticht dabei Kata Mara als Hannah hervor, der Tochter des sie drangsalierenden Sheriffs. Keiner hat ein einfaches Leben in dieser Welt, aber keiner trägt es mit so natürlicher, ungeschminkter und ermutigender Klarheit wie Maras Hannah, die einer Schneeflocke gleicht: Wunderschön und für extreme (emotionale) Temperaturen gemacht.
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