The Tree of Life (2011)

the tree of lifeTerrence Malick wird alt! The Tree of Life ist nur sekundär eine allumfassende Betrachtung des Lebens. Ursprung und Ziel dieser Gedanken ist aber der Tod. Um diesen gewinnbringend ins Leben einzubinden, will Malick nicht vom Glauben ablassen.

Vermutlich war es schon in DER SCHMALE GRAT die Beschäftigung mit dem Tod und dem sinnlosen Zerstören von Leben im Krieg, die Malick zu einem kontemplativen und sinnsuchenden Meisterwerk antrieben. Und auch in THE NEW WORLD nimmt der Tod eine zentrale Stellung ein, der trotz aller Grausamkeit und Qualen als eine Erfüllung erscheint. THE TREE OF LIFE spart vordergründige Geschichten und Handlungen wie Krieg oder Mythos komplett aus und setzt Szene für Szene nur noch da an, wo laut Malick Sinn zu suchen ist. Dem entsprechend assoziativ, symbolisch und aus dramaturgischer Sicht lose ist der Film inszeniert. Anders als in seinen vorangegangenen Filmen wird das Maß der Off Stimmen zurückgeschraubt, wenn gleich sie immer noch reichlich vorhanden sind. Aber nun sprechen die Bilder viel eigenständiger, minutenlang ist kein Wort zu hören, oft auch kein Mensch zu sehen. Das visuelle Spektrum reicht dabei von dokumentarischen Naturaufnahmen über simple, im natürlichen Licht profan erscheinende Schauspielerszenen hin zu mikroskopischen Wissenschaftsbildern, hyperplastischen Makrokosmoi und klassischen Filmszenen dazwischen. Der scheinbar ungeschminkte, natürliche Blick geht dabei erstaunlich gut von neuaufgelegter Tricktechnik  in moderne Animationstechnik über und schafft es eine Weite zu erlangen, die dem Thema Leben gerecht zu werden scheint.

Eine Familie im Amerika der 50er Jahre: Vater (Brad Pitt), Mutter (Jessica Chastain) und drei Söhne. Der eine Sohn stirbt, die Mutter verzweifelt und will auch sterben, der Vater gerät in seinem Weltbild ins Wanken. Das ist der Denkanstoß: Warum sterben wir, warum leben wir, was ist Leben, was ist Tod und wie lässt sich das am besten für einen Menschen bewältigen? THE TREE OF LIFE ist nicht daran interessiert das Drama des toten Sohnes zu erzählen, interessiert sich noch nicht einmal dafür, wie er starb. Um mit dem Tod fertig zu werden, muss die richtige Einstellung zum Leben her. Ein Grübeln über das Unglück lehnt der Film von vornherein ab. Malick lässt zwei konvergierende Sichtweisen zum Leben von den Eltern der Jungs verkörpern. Der Vater kommt dabei dem von Mutter und ältestem Sohn Jack (Hunter McCormack) oft angesprochene Gott (Father) nicht nur namentlich nahe. Wie dieser ist er nicht nur lebensgebend für die Familie, seine Strenge und Grausamkeiten sind auch ebenso unberechenbar wie die Wege des Herrn. Die Mutter wird in die Nähe der Mutter Natur gerückt, als eine Gebende, Duldsame und Sinnliche. Malick überkreuzt diese Symbolik damit, dass er den Vater als einen stur den Regeln der (darwinschen) Natur folgenden Mann beschreibt, der seine Kinder unnachgiebig aufs Härteste drillt, freilich nur das Beste wollend, eigentlich aber nur etwas besseres als sich selbst wollend. Die Mutter (Natur) hingegen ist die Gnadenvolle, die Nachgiebige, die Verzeihende, oder eben die Naive, wie der Vater es nennt. Sie wird paradoxerweise vom Film erstmal explizit vom Weg der Natur abgegrenzt. Absichtslos erfreut sie sich am Wasser aus dem Gartenschlauch, welches die Männer nur logisch zu gebrauchen wissen: Als Trinken oder um den Rasen zu wässern.

Dass Natur und Gnade die zwei Seiten ein und derselben Medaille sind, deuten die poetischen Worte des Films bereits zu Begin an. THE TREE OF LIFE liefert nun die symbolisch konstruierte Geschichte hierzu, deren Konvergenzpunkt am Ende des Horizonts dem inzwischen erwachsenen Sohn Jack (Sean Penn) als Tür in der selbstreferenziellen Kargheit einer Steinwüste erscheint. Um hierhin zu gelangen, rollt Malick die komplette Entstehung der Welt und des Lebens auf, was er mit choraler Musik und gewaltigen Bildern vom Kleinsten bis zum Größten zu bewerkstelligen versucht. Dabei verpasst es der Film nicht recht kitschig darauf hinzuweisen, dass die Gnade seit jeher Teil der Natur war, schon zu Zeiten der Dinosaurier. Leider verstrickt sich diese Sichtweise sehr stark mit christlicher Religion und THE TREE OF LIFE lässt nicht davon ab immer wieder die Bibel zu zitieren, was den Gehalt seiner altruistischen Weltsicht bedauerlicherweise etwas eindimensional erscheinen lässt. Prästabilierte Harmonie hin oder her, warum muss immer ein Gott dahinterstehen? Ist nicht die von THE TREE OF LIFE (ansatzweise) aufgezeigte Sinnlosigkeit der kalten und als unnachgiebig aufgezeigten Natur, die nichtsdestotrotz ehrfurchteinflößend schön ist, Grund genug für den Menschen Sinn zu machen, aus Unsinn und mit Unsinn? Malick sieht lieber den Architekten dahinter, auf den er sich werfen kann, folgt seinen Gedanken nicht konsequent bis zum Ende und wartet auf die Erlösung. Sein Bild des Weges der Natur erscheint deswegen etwas unterzeichnet, was Pitts Rolle irgendwie unfertig erscheinen lässt. Auf der anderen Seite kann Chastain, als die Gnadenvolle, nichts falsch machen und ihre natürliche Schönheit ist zu perfekt inszeniert, um absichtslos zu sein. Die Gnade behält so stets Oberhand und ist für Malick mehr als nur die Kehrseite der Natur. Sie ist auch nichts vom Menschen geschaffenes, sondern schlussendlich selbst die göttliche Natur, sofern der Mensch dies zu begreifen vermag und aus seiner Ignoranz auftaucht.

Nachdem der erwachsene Jack alle maßgeblichen Erinnerungen an seine Kindheit (Hunter McCracken spielt den jungen Jack hervorragend schüchtern und trotzig) und den schmerzlichen Verlust von Bruders und Mutter unchronologisch und umherschweifend ausgegraben hat, schickt ihn THE TREE OF LIFE an einen mystischen Ort: Wer von hier zurückkehrt, kann befreit lachen. Selbst die vormals kalten Stahlkolosse der Houstoner Skyline erstrahlen jetzt im gnädigen Licht der Natur. Dazu trägt nicht zuletzt Alexandre Desplats Soundtrack bei, der ohne Zurückhaltung aus den großen Melodien der Klassik schöpft und trotz sphärischer Weite nicht esoterisch wirkt. Insgesamt aber erreicht THE TREE OF LIFE nicht die Dichte seiner Vorgängerfilme, die Spielszenen laden zu sehr ein eigenen Gedanken nachzuhängen, das große Thema entspringt nicht den kleinen Gedanken sondern wird forciert, ebenso wie die kontemplativen Bilder, deren augenscheinliche Natürlichkeit und Beliebigkeit mehr Absicht verraten, als dem Film gut tut. Terrence Malick hat erneut einen spektakulären Film abgeliefert, aber diesmal war es nur ein Film. Ginge es um die schwere Aufgabe unvergessliche und die Menschen prägende Kindheitserinnerungen in Form eines Filmes zu rekapitulieren, dann hätte sich THE TREE OF LIFE eine eins mit Stern verdient, so leichtfüßig und doch treffsicher lenkt der Regisseur die ewig bewegte Kamera ins Ziel. Die ganze Einsicht zum Leben jedoch erinnert stark an den Versuch, Verlust und Versagen durch göttliche Gnade erträglich zu machen.

Ähnliche Filme:

Der schmale Grat, The new World, The Fountain, 2001:  Odyssee im Weltraum, Enter the Void

Information:

USA, Indien 2011

Dauer: 138 Minuten

Regie: Terrence Malick

Drehbuch: Terrence Malick

DoP: Emmanuel Lubezki

Musik: Alexandre Desplat

Darsteller: Brad Pitt, Sean Penn, Jessica Chastain, Laramie Eppler, Tye Sheridan, Hunter McCracken

Genre: Besonderer Film, Arthouse, Stimmungsfilm

Im Kino ab: 16.06.2011

Im Web:

The Tree of Life in der IMDb

Bilder und Trailer zur Filmkritik von The Tree of Life auf der offiziellen Website

 

Nach oben scrollen