Ich und du und alle die wir kennen (2005)

Ich un du und alle die wir kennenVorsicht: Kunst! Oder das, was die meisten dafür halten. Frauenfilm, der die Zeit vergehen lässt.

Regisseurin und Darstellerin Miranda July (Christine) wirkt wie Amélie, nachdem man dieser den Zuckerguss abgekratzt, die leuchtenden Farben gedimmt, den Blockbusterlook abgeschmirgelt und ihre Märchenwelt hartgekocht hat. Das ganze sieht dann mehr aus wie Alltag und der ist in schlechten Momenten nicht von verzaubernder Traurigkeit sondern schlimm, peinlich und bekloppt. Die Verschrobenheit sämtlicher Figuren wirkt unterm hellen Tageslicht von ICH UND DU UND ALLE DIE WIR KENNEN betrachtet wie eine Freakshow. Dabei stecken hinter all den skurrilen Gestalten ganz menschliche Probleme; Performance künstlerisch gezeichnet.

Der Film erzählt sich dabei nach den Maßgaben der klassischen Narration und kann auch eine Handlung vorweisen. Artistisch ausgetobt hat sich July aber in den Figuren und ihrem Verhalten, sowie der unzähligen Ideen und Beobachtungen, die jedoch nicht immer filmisch adäquat untergebracht werden und auch dramaturgisch zu einer Auffächerung  führen. Nichts desto trotz gibt es viel zu Schmunzeln, zu Staunen und auch nachzudenken. Der Film nimmt in keinerlei Beziehung ein Blatt vor den Mund und hat sich unter anderem zum Ziel gesetzt, peinlich zu sein. Vermutlich war eine versöhnliche Komplizenschaft mit den Beschämten hin und wieder durchaus angedacht, dazu ist die Geschichte aber zu wenig Kitsch.

Die unerschrockene Taxifahrerin Christine will Künstlerin werden und bandelt draufgängerisch direkt mit dem Schuhverkäufer Richard (John Hawkes) an. Der zieht nicht so recht, denn er hat sich gerade von der Mutter seiner Kinder getrennt, wobei er sich ordentlich die Finger verbrannte. Wie der Vater werden auch die beiden Söhne vom anderen Geschlecht in Beschlag genommen, ihrer Minderjährigkeit zum Trotz. Obendrein verarbeitet der Film noch ein Altenheimdrama, überführt Perversion zur Unschuld und dann wäre da noch der Vorfall mit dem Goldfisch…

ICH UND DU UND ALLE DIE WIR KENNEN wählt seine allegorischen Bilder zur Charakterisierung der Menschen sehr unmittelbar und direkt und erinnert so an die Filme Pedro Almodóvars. Aber man muss mit dem Film Rücksicht nehmen wie mit einem Kind, für all die Fehler, Peinlichkeiten und Dummheiten die er begeht. Und man muss Nachsicht haben mit Miranda July, die in jede noch so kleine Spalte der Erzählung ein Stück ihrer Kunst, ihrer Gedanken und ihrer Gefühle einfließen lässt. Was da hin und wieder unerträglich wirkt, kann gesehen werden als der Versuch Kunst selbst zu hinterfragen, ihre Institutionalisierung, ihren Exhibitionismus, ihre Rücksichtslosigkeit – was July letztlich ihrer Kunst beraubt und sie zum Anschauungsobjekt des Typen von Mensch macht, der partout Künstler sein will, doch nichts anders zuwege bringt als ein ewiges „Ich will doch nur, dass ihr mich liebt“, sich dessen aber bewusst wird und fortan in einer Spirale ewiger Selbstreflexivität gefangen ist. Das Ergebnis ist keine Kunst, aber immerhin auch kein Kitsch. Wer einen anderen Film sehen will und nicht vor der Arbeit einer Performance Künstlerin zurückschreckt, die übrigens mit ihrem neuen Film THE FUTURE auf der Berlinale 2011 vertreten war, wird hier viel Wunder und Verwunderung finden.

Information:

Engl. Titel: Me and You and Everyone We Know

USA, Großbritannien 2005

Dauer: 91 Minuten

Regie: Miranda July

Drehbuch: Miranda July

DoP: Chuy Chávez

Musik: Michael Andrews

Darsteller: John Hawkes, Miranda July, Ellen Geer, Brad William Henke, Jordan Potter, Brandon Ratcliff, Miles Thompson, Jason R. Rice

Genre: gedacht als Kunstfilm, wahrgenommen als Drama

Im Kino ab: 23.02.2006

Im Web:

Ich und Du und alle die wir kennen in der IMDb

Bilder und Trailer zur Filmkritik von Ich und Du und alle die wir kennen auf der offiziellen Website

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