Winter’s Bone (2010)

winters boneNüchterner Film in kalter, trockener Luft.

Ree (Jennifer Lawrence) sorgt für ihre zwei kleinen Geschwister ebenso wie für ihre verrückt gewordenen Mutter, die keinen Ton mehr von sich gibt. Das macht sie ohne Murren, ohne Geld, mit Fassung und mit siebzehn Jahren. Ihr Ziel ist es, zur Armee zu gehen, denn die bezahlen viel Geld bei einer Verpflichtung für fünf Jahre.  Jedoch ist ihr Vater, einer von vielen Drogenköchen der Region, verschwunden – kurz vor seinem Gerichtstermin. Als Kaution diente das kleine Holzhaus, in dem Ree mit dem traurigen Rest ihrer Familie haust. Sie hat einige Tage, um ihn aufzutreiben, dann hat sie gar nichts mehr.

WINTERS BONE spielt in ärmsten Verhältnissen, im ländlichen Amerika, wo wenig Geld auf viel Raum trifft und die Natur die zivilisatorischen Errungenschaften zurückerobert, sei es durch das Zersetzen von liegengebliebenen Landmaschinen unter freiem Himmel, das Ausmergeln der einst ansehnlichen Häuser oder durch das Verrohen der Menschen, die hier scheinbar anders nicht überleben können. Dabei sind die Figuren keinesfalls abgestumpft, sie sind einfach nur rau geschmirgelt, um sich so den wenigen Feinsinn zu bewahren, der sie von Tieren unterscheidet. Dennoch gelten klare Regeln, wie etwa Blutsbande, Selbstjustiz, Zusammenhalt und eine restriktive Aufgabenverteilung zwischen Mann und Frau. Selbst Teil dieser Gesellschaft, muss sich Ree auf ihrer Odyssee gegen das Schweigen dieser Sippe auflehnen, die, obwohl und weil alle im gleichen Boot sitzen, lieber Ree krepieren lassen, als zu reden und sich selbst sowie alle damit zu gefährden.

Tränen sind nicht erwünscht unter Menschen, die auch im Winter ihre Wäsche im Freien trocknen

Unzählige Male könnte dieser Film in Trauer absaufen, sich in Melancholie verlieren und einfach nur Tränen produzieren. Wie die Figuren dieses Dilemmas entscheidet sich WINTERS BONE aber dagegen und für den Fortgang, für das Überleben. Wie fundamental die Bedürfnisse der Personen sind, zeigen auch die Hauptbeschäftigungen von Ree, nämlich für Essen und für Wärme zu sorgen. Sie wirkt irgendwie zart, als sie das Holz hackt, doch ihre unbewegte Miene verrät, dass sie all das stemmen kann. Sie hat einen Plan und den verfolgt sie mit Fassung. Dabei legt sie den Kindern schon mal die Schwimmwesten an, denn ihr Kentern scheint wahrscheinlich. Auch die Dialoge bleiben nüchtern und kurz, bei all der Bitterkeit die sie hervorrufen könnten. Tränen sind nicht erwünscht unter Menschen, die auch im Winter ihre Wäsche im Freien trocknen. Dabei ist der Winter noch die erträglichere Jahreszeit, welche die Natur zu bieten hat. Denn wo Erdboden und Wiesen durch die Kälte in einem schönen Braunton zusammengehalten werden, was die Landschaftseinstellungen trotz alle dem Dreck irgendwie versöhnlich erscheinen lassen, wird im Sommer das wirre Unkraut wuchern und den Boden zu Matsch und Schlamm verwandeln, der blutig an den Stiefeln klebt und das wahre Gesicht dieses Daseins offen legt. Ree’s Geschichte ist eine Wintergeschichte. Eine, die ihr alle Fassung abverlangt, die ein Mensch aufbieten kann. Eine, die ihr soviel Kälte entgegen wirft, dass sich der Körper aufs äußerste zusammenzieht muss, sich zusammenreißen muss, um nicht beim Blick auf den tiefsten Abgrund des Seins das Bewusstsein zu verlieren.

Es gibt nicht viel Schönes in dieser Welt. Vielleicht heißen die Tiere der Kinder deswegen Brownie, Peanutbutter und Cupcake. So verwundert es auch nicht, dass eines der wohlwollendsten Gefühle von einem Mann erzeugt wird, vor dessen Ruf als Brutalo sich sogar der Sheriff fürchtet. Teardrop, in absolut überzeugender Manier vom in ICH UND DU UND ALLE DIE WIR KENNEN noch so fahrig agierenden John Hawkes dargestellt, ist der Bruder des verschwundenen Mannes, also Ree’s Onkel. Von Anfang an versucht er Ree einzuschüchtern und zurückzuhalten, versucht sich selbst zurück zu halten, denn er weiß: So wie er, wird jeder in dieser Gemeinschaft seinen Weg bis zum Ende gehen, mit aller Konsequenz. Sich die Hände reichen ist ein Zeichen des guten Willens, auch in WINTERS BONE. Doch nie war dieser gute Wille schmerzlicher, als im tiefgründigen, poetischen und dennoch nüchternen Werk der Regisseurin Debra Granik.

 

Bester Film (Jury) und bestes Drehbuch Sundance Film Festival. Der Film wurde außerdem Oscar nominiert für beste Hauptdarstellerin (Lawrence), beste Nebenrolle (Hawkes) und beste Drehbuchadaption.

Ähnliche Filme:

Brokeback Mountain

Information:

USA 2010

Dauer: 100 Minuten

Regie: Debra Granik

Drehbuch: Debra Granik, Anne Rosellini

Roman: Winter’s Bone (2006) von Daniel Woodrell

DoP: Michael McDonough

Musik: Dickon Hinchliffe

Darsteller: Jennifer Lawrence, John Hawkes, Kevin Breznahan, Dale Dickey, Garret Dillahunt, Sheryl Lee, Lauren Sweetser, Tate Taylor

Genre: Drama, Thriller

Im Kino ab: 31.03.2011

Im Web:

Winter’s Bone in der IMDb

Bilder und Trailer zur Filmkritik von Winter’s Bone auf der offiziellen Website

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