Schamlos charmlos: Unterkühltes Gehetze in sagenhafter Zukunft.
In einer fernen Zukunft wird der Fabrikarbeiter Douglas Quaid (Colin Farrell) von Albträumen geplagt. Er beschließt dem Gefühl seines unerfüllten Lebens zu entgehen, indem er sich eine falsche Erinnerung als Geheimagent einpflanzen lässt. Von da ab läuft alles schief und er muss fortan fundamental an seiner eigenen Identität zweifeln, an der plötzlich alle Seiten reißen – genau wie an seinem Leben. Wer ist Douglas Quaid wirklich? Was ist eine Erinnerung wert? Und will sich dieser Film ernsthaft mit dem Thema Erinnerung auseinandersetzen?
Masse statt Klasse könnte man es auch nennen, was Regisseur und Produzent Len Wiseman (UNDERWORLD) mit seiner Version des Science-Fiction Thrillers TOTAL RECALL zum Besten gibt. Zu sehen gibt es zwar jede Menge, doch der Regisseur erweckt das aufregende Setdesign nicht zum Leben, genauso wenig wie seine Charaktere. Es ist eigentlich immer der gleiche Film, den Wiseman dreht und in dem geht es leider nur um ein Trommelfeuer der Sinnesreize – was TOTAL RECALL übrigens selbst(referenziell) feststellt, mit dem falschen Versprechen jedoch, die Illusion sei mehr als eine Illusion. Wie beim Duo Anderson/Jovovich (RESIDENT EVIL) gesteht auch Wiseman seiner Frau Kate Beckinsale eine sehr raumgreifenden Rolle zu, obwohl sie als Doug Quaids Frau Lori hinter Colin Farrell nur die zweite Geige spielt. Dies führt zur gleichzeitigen Abwertung der Rolle der Melina (Jessica Biel). Recht schamlos und selbstgefällig darf Beckinsale so mit hechelndem Vampirblick ausschweifend ihrer katzenhaften Akrobatik frönen, die wie immer erst im verhackstückten Schnitt ihre Gefährlichkeit entfaltet und dazwischen vor allem aus Egoposen besteht. Leider trägt die Konzentration auf diese, von Beckinsale durchaus talentiert als garstige, eindimensionale Furie gespielte Person, nicht zur Verbesserung der Handlung bei, ganz im Gegenteil.
Ganz ohne intellektuelle Leistung
Ganz anders als in HAYWIRE, wo eine echte Kämpferin (Gina Carano) die Frauenaction stemmte, ist die schlagkräftige Emanzipation bei Beckinsale/Jovovich und Co. nur ein hippes Accessoire, welches verschnürt im sexy Kostüm dem männlichen Blick und der weiblichen Befriedigung an eben diesem Genüge tut. Wie eine Frau auszusehen hat, zeigt Wiseman gleich doppelt, denn in manchen Szenen sehen sich Biel und Beckinsale zum Verwechseln ähnlich – was der Regisseur mit der Story begründet. Auch Farrell musste für die Heldenrolle aufpoliert werden – so massiv mit Muskeln bepackt war er noch nie. Es bleibt zu vermuten, dass die Choreographien der unzähligen Kampf- und Actionszenen gar nicht so schlecht waren, die wenig kunstvolle Kamera zusammen mit dem hektischen Schnitt lässt jedoch kaum etwas davon übrig. Außer Funken immer und überall gibt es vor allem Gewackel, flackerndes Licht und all die anderen bewegten Effekte, die dem Zuschauer Unruhe in die Glieder treiben. TOTAL RECALL zielt vor allem auf das vegetative Nervensystem, welches das Gesehene auch ganz ohne intellektuelle Leistung verarbeiten kann.
Das Drehbuch entfernt sich in vielerlei Hinsicht sehr weit von Paul Verhoevens Verfilmung von 1990 mit Arnold Schwarzenegger – und fällt damit fast jedesmal qualitativ zurück. Statt auf dem Mars herrscht der boshafte Cohaagen (Bryan Cranston) auf einer postapokalyptischen Erde, die ihren wenig verbliebenen Lebensraum mittels eines Tunnels durch den Erdmittelpunkt verbindet, um so der Kontamination des restlichen Planeten zu entgehen. Auf der einen Seite dieses als The Fall bezeichneten Aufzugs durch die Welt lebt der hochmoderne Rest der westlichen Zivilisation, auf der anderen Seite hingegen befindet sich die als Kolonie bezeichnete Unterschicht in einem regnerischen Zukunftsslum frei nach BLADE RUNNER. Die kuriose Idee des Aufzugs steht sinnbildlich für alle die Neuerungen und Veränderungen, die TOTAL RECALL 2012 vorzuweisen hat: Viel Schauwert und Gadget ohne mehr dahinter als Selbstzweck. Tatsächlich erreicht dieses Werk die meiste Hintergründigkeit mit dem Bildnis von Obama auf Geldscheinen oder vielleicht noch mit einer durchaus humorvollen Anspielung auf den Verhoeven Film. Schwarzeneggers legendäre Nasenpopelei bleibt Farrell dennoch erspart, stattdessen verliert sich der Film lieber in technischen Spielereien.
Fast immer voll auf die Zwölf
Harry Gregson-Williams liefert erneut eine hervorragende Musik zu diesem Science-Fiction-Kracher ab, die allein jedoch nicht das Fehlen von Emotionen wettmacht. Manch Unglaubwürdiges in der Inszenierung kann getrost übergangen werden, wenn zu beliebigen Dialogen auch noch die wenigen guten Dialoge beliebig inszeniert werden, wenn fast jeder dramaturgische Kniff nichtssagend in einem Gadget enden muss, wenn zu wenig Risikogewicht auf der Waagschale liegt und wenn pausenlose Verfolgungsjagden trotz kontrahierter Muskeln als langweilig empfunden werden, weil sie zum tausendsten Mal das gleiche Schema abspulen und zu sehr an bereits bekannte Filme des Genres erinnern, was überhaupt recht häufig geschieht. Eine sehr rechenintensive Szene mit Magnetschwebe-Autos vor gigantischer Zukunfts-Megacity wird so zur unbefriedigenden Wunscherfüllung aller Science Fiction Fans, die mit der Kamera zwar tief in die Pixelwelt eintauchen dürfen, aber dennoch stets auf der rasch vorbeihuschenden Oberfläche gehalten werden, weil hier kein Fein-Sinn besteht; und kein Gespür für Rhythmus, Körper oder Räume. Stattdessen heißt es fast immer voll auf die Zwölf. Ein toll (und echt) gebautes Set wie jenes der Kolonien hat besonders darunter zu leiden. Aber auch langwierig von Schauspielern erlernte Bewegungsabläufe für Plansequenzen kommen im Visier der computergesteuerten Kameras daher, als wären sie wie eh und je effektoptimiert unterschnitten. TOTAL RECALL ist schließlich ein industrielles Produkt, mit viel Fachkenntnis und berechnender Ökonomie in einer Fabrik zusammengeschraubt, die vor lauter Perfektion den Traum vergaß. Ein großes Spektakel und eine mittelmäßige Enttäuschung, die leider kalt lässt.
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