Tanzen und Sterben: Alles andere ist verloren.
PINA ist nicht wie einer der Tanzfilme Pina Bauschs, wenngleich er ähnlich zusammengewürfelt erscheint. PINA ist auch keine Dokumentation, denn es wird nichts dokumentiert. Aber obwohl er mehr fiktiv als dokumentarisch wirkt, fällt er auch als Spielfilm aus dem Rahmen, denn trotz Erzählungen fehlt die Narration. Schließlich ist PINA auch ein wenig Pina Bausch, aus alten Aufnahmen, im Gespräch, bei den Proben und sogar ein wenig beim Tanzen. Am besten ist dieses Sammelsurium aus kurzen Archivfetzen, 3D Rahmung, Aufführungsverfilmung, Wiederverfilmung, Off-Stimmen Portraits und deren getanzte Bebilderung wohl wirklich eine Hommage zu nennen. Zu Worte kommt dabei die Kompanie, von weinerlich überschwänglich bis hin zu überlegt und wortlos.
Tanz als Sprache scheint ein zentrales Thema zu sein, auf das sich Wenders konzentriert, vielleicht weil er Film als Sprache sieht und 3D Tanzfilm dann erst recht. Folglich wird Bausch einmal mehr dahingehend zitiert, dass Tanz die Fortführung der Worte sei, wenn diese versagen und jede kleinste Bewegung Teil einer Sprache ist. Dies nimmt sich der Filmemacher als roten Faden und lässt Pina Bauschs Choreographien sprechen, sofern und so gut sie zu den Erinnerungen und Worten passen, die ihre Kompanie im Rückblick auf sie findet. Damit geht er quasi denselben Weg wie Bausch selbst, von den Worten nämlich in die Bewegung. Leider wird dies recht häufig wiederholt, so dass die streckenweise überwältigend in 3D gefilmten Körpergedichte teils aufeinanderprallen und verstummen, anstatt sich zum Klingen zu bringen.
Parallel zum Tanz meißeln die spärlichen (im Off) gesprochenen Sätze ganz allmählich eine Skulptur aus dem rau wirkenden Stein der Bausch, die einer unermüdlichen, weisen, weitsichtigen und tiefblickenden Übermutter gleicht, die ihre Kompanie aus vielen scheuen, zurückhaltenden, zerbrechlichen, suchenden, verängstigten und verlorenen Seelen erst zu einer Körpersinfonie vereinte und somit zu einer Sprache verhalf. Wäre die im Tanz mal mehr und mal weniger unterschwellig mitschwingende Sexualität auch nur einen Funken expliziter gewesen – so bleibt nach dieser Charakterisierung anzunehmen -, dann hätte Pina Bausch als Sektenführerin wohl im Knast choreographieren müssen. Denn diese Art der zentralen und auch noch sexuell konnotierten Lichtgestalt inmitten eines sich selbst als so schwach stilisierenden Haufens, bringt die Rahmenbedingungen einer Sekte wohl auf den Punkt. Und in der Tat hatte Bausch ja auch zu Beginn mit nicht wenigen Widerständen zu kämpfen, ehe sich ihre Art der Bewegung und des bewegt Werdens durchsetzten konnte.
Warum immer Sprache, kann man sich fragen? So als gäbe es für diese Art von Tanz eine adäquate Übersetzung, so als wäre da keine Emergenz in der Bewegung, die mehr sein will als die Summe der vom Körper in der Raum-Zeit durchlaufenen Positionen. So als wären die jedem menschlichen Körper ersichtlichen Gefühle dieser Choreographie eine strukturierbare Größe, die als abgeschlossener Baustein wie Stühle gestapelt werden könnte. Zweifellos wirken viele Szenen und Pantomimen narrativ, aber die so transportierte Geschichte ist immer erst der zweite, oberflächliche Schritt, basierend auf einem viel rudimentärerem Körpergefühl, dass der Logik selbst der simpelsten Körpermaschinensprache ständig zu entgleiten droht, in seinem ewigen Versuch den Konvergenzpunkt der Zentralperspektive zu zerreißen und sich in alle möglichen und unmöglichen Dimensionen gleichzeitig auszubreiten. Es ist keine Sprache, es ist ein wilder Traum und der spricht nicht, der zerreißt das Ich und lässt uns zu Lebzeiten das Sterben erfahren, das Eins werden mit dem Alles und Nichts. Die unmögliche Bewegung bringt uns ganz nah an den Stillstand, die ewigen Wiederholungen bringen uns an den Stillstand, die Auffächerungen lassen uns im Ewigen zerfließen, und dass in einem solchen Moment der totalen Körperversinnlichung und Körperverausgabung im französischen die Rede vom petite mort ist, kann kein Zufall sein. Die biomechanischen Prinzipien schwingen die Massen um ihre Dreh- und Angelpunkte und machen so Gewicht und Trägheit erst spürbar, geben in dem Moment das Gefühl größter Lebendigkeit, in welchem die Sinne schließlich schwinden.
Wie sonst kann denn ein Tänzer Bauschs Frage nach dem Beantworten, was Sehnsucht ist? Und wer sich über die Versprachlichungen von Bausch und Wenders hinwegsetzt, der kann in diesem Film wahrlich nicht selten körperlich träumen, in einem Verständnis, das nicht nur keine Worte hat, sondern auch kein Zentrum mehr, das sprechen könnte. Bausch positionierte sich dann diametral zum großen Sprechtherapeuten Freud, denn sie kuriert mit Bewegung. Diese funktioniert vielleicht deswegen so gut, weil im Zeitalter der Medien, des inflationären Wortes und der Tastenkinetik erst ein beherzter Sprung gegen die Wand, auf den Boden oder ins Wasser all die gegenstandslos gewordenen Zwänge und Unterdrückungen lösen kann. Exhibitionismus von Autismus kann man diese sich ewig wiederholenden und in schizophrener Aufspaltung multiplizierten Bewegungsabläufe auch nennen, denn sie genügen sich selbst vollkommen und ergeben immer wieder nur den einen in die Welt geschrienen Sinn: Ich fühle, also fühle ich!
Nach dem Film bleibt jedenfalls viel Eindruck von Bausch und wenig von Wenders und das ist gut. Den Frühling, den Sommer, den Herbst und den Winter, die lässt Wenders immer wieder kommen, mit einem von Bausch inszenierten Bewegungsminimalismus, der wie ein ironischer Kommentar auf das ewig sich drehende Rad des Lebens selbst wirkt. Womöglich hatte Bausch Angst still zu stehen und deswegen immerfort weitergearbeitet. Und wie es aussieht, lässt Wenders den Stillstand auch nach dem Tod nicht zu, wenn er sich dieser Ironie bedient. In Wirklichkeit ist beides Bewegung, Tanzen und Sterben. Alles andere ist verloren.
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Information:
Deutschland 2011
Dauer: 100 Minuten
Regie: Wim Wenders
Drehbuch: Wim Wenders
DoP: Hélène Louvart
Darsteller: Pina Bausch, Aida Vainieri, Andrey Berezin, Anna Wehsarg, Azusa Seyama, Dominique Mercy, Fabian Prioville, Jorge Puerta Armenta, Michael Strecker, Ruth Amarante
Genre: Dokumentation, Tanzfilm, Hommage
Im Kino ab: 24.02.2011
Im Web:
Pina in der IMDb
Bilder und Trailer zur Filmkritik von Pina auf der offiziellen Website