Historischer Klassiker: Jungregisseur filmt sensibles Liebesdrama mit ausdrucksstarken Landschaftsbildern und einer erstklassigen Besetzung.
Cary Fukunaga, Regisseur des hervorragenden, südamerikanischen Gangsterfilmes SIN NOMBRE, inszeniert mit Charlotte Brontës Klassiker JANE EYRE erneut ein hochemotionales Werk, nur tragen seine traurigen Helden diesmal viktorianische Garderobe statt Tattoos und Turnschuhen. Abermals gelingt es ihm, die markanten Eigenheiten des Milieus, von der distinguieren Sprache bis zum sonderbaren Rollenverständnis der Figuren, ohne Befremdlichkeit zum Leben zu erwecken. Mit einfachen Bildern wird die Geschichte des Waisenkindes Jane Eyre (Mia Wasikowska) erzählt, die nach einer leidvollen Kindheit voll psychischer und physischer Misshandlungen als Gouvernante bei Mr. Rochester (Michael Fassbender) auf neues Glück hofft. Mit großem Talent geben Amelia Clarkson (Jane Eyre als Kind) und Mia Wasikowska ein
porzellanenes Wesen, das nach erträumten Sternen greift und dennoch die störrische Beharrlichkeit eines Titanen im Herzen trägt. Das muss sie auch, um sich als selbstbewusste Frau im 19. Jahrhundert trotz Patriarchat und verderbter Frauenzimmer wie ihrer Tante Mrs. Reed (Sally Hawkins) treu bleiben zu können. So entwickelt sich eine strahlende Frauenfigur, deren überirdische Profanität auch Pedro Almodóvar entsprungen sein könnte.
Weniger ausladend und epochal als VOM WINDE VERWEHT präsentiert sich dieses in England gedrehte historische Liebesdrama aber nur in Look und Ausstattung. Auf Gefühlsebene werden, wenngleich über einen kürzeren Zeitraum, gleichwohl extreme Höhen und Tiefen durchlaufen. Vermutlich war die BBC Films als Mitproduzent nicht ganz unschuldig am Verzicht auf das Cinemascope Format, was den Bildern jedoch nicht nur bei Außenaufnahmen an Schönheit raubt. Auch die Kamerabewegungen wirken nicht immer passend, ebenso wie eine Lichtsetzung, die zwar das Dunkel erfreulich obskur gestaltet, jedoch mit einem erleuchteten Gesicht vor schwarzem Hintergrund nicht zu begeistern weiß. Dafür gibt es herrlich karge Landschaften und leuchtendes Frühlingsglück zu bewundern. Der ungestüme Rochester wirft in Jane viele Fragen auf, doch er begeistert sie mit seinem klaren Blick auf ihre Seele. Im Gegenzug vermag Jane lange nicht hinter sein Geheimnis zu blicken und wird ihr in den dunklen Gemäuern seines Anwesens neben lichter Momente auch das Bangen und Fürchten gewahr.
Was vormals der mutige Aufstand einer Frau für das Recht auf Anerkennung und Leben war, wird in JANE EYRE weitgehend zu einem Bekenntnis für Aufrichtigkeit und dem Mut zu unkorrumpierbarer Unverfälschtheit gewandelt – einem Statement, das unsere Moderne der Trends, des Opportunismus und der rückgratlosen Verantwortungslosigkeit dringend benötigt. Auf diesem unerschütterlichen Fundament ruht das große Liebesdramas zwischen Rochester und Jane so sicher, dass Fukunaga in die Bredouille gerät, als die Dramaturgie die beiden unter einen Unstern stellen muss. Wett gemacht wird dieser wackelige Moment der Inszenierung, in dem der ansonsten überzeugend spielende Fassbender ganz entleert wirkt, durch eine Liebesszene unter grünen Blättern, die
vor lauter Inbrunst, schöner Worte und perfekter Bewegungen eine Gänsehaut bereitet. Nicht minder ungestüm, nur weitaus unverdaulicher, ist die erzeugte Wut über die maßlose Ungerechtigkeit, die Jane als Kind erfährt. Der Film setzt seinem Publikum mit nur wenigen, präzisen Momenten der Einleitung so zu, dass man bis zu letzt auf das Schlimmste gefasst sein muss.
Tadellos ist JANE EYRE trotzdem nicht und weit weniger gespenstisch, als man sich vielleicht gewünscht hätte. Trotzdem funktioniert der Film sehr gut, Mia Wasikowska ist ein absoluter Volltreffer und Fukunaga hat erneut bewiesen, dass er eine Sprache hat, die verstanden wird. JANE EYRE wird wohl auf mehr Liebe beim weiblichen Publikum stoßen, ist aber ohne Zweifel ein guter Film, der keinen kalt lässt.
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Information:
Großbritannien, USA 2011
Dauer: 120 Minuten
FSK: 12
Regie: Cary Fukunaga
Drehbuch: Moira Buffini
Basierend auf den Roman Jane Eyre. Eine Autobiographie 1847 von Charlotte Brontë
DoP: Adriano Goldman
Musik: Dario Marianelli
Darsteller: Mia Wasikowska, Michael Fassbender, Jamie Bell, Su Elliot, Holliday Grainger, Tamzin Merchant, Amelia Clarkson, Craig Roberts, Sally Hawkins, Lizzie Hopley, Jayne Wisener, Freya Wilson, Emily Haigh, Simon McBurney, Sandy McDade, Freya Parks, Judi Dench, Imogen Poots
Genre: Drama, Romanze, Historienfilm, Buchverfilmung
Im Kino: 01.12.2011
Im Web:
Jane Eyre in der IMDb
Bilder und Trailer zur Filmkritik von Jane Eyre auf der offiziellen Website
Copyright Bilder und Trailer: Tobis