Butterbrote sollten nie bis zum Rand beschmiert sein…

…so wie Mama es immer gemacht hat. Irgendwann wohnt man dann allein, verzichtet auf diesen Luxus, zu aufwendig, zu wenig Zeit. Das Leben funktioniert auch so. Es geht doch schließlich um die wichtigen Dinge, und wer ist schon Butterbrotfetischist? Das Leben bleibt also immer unvollständig, ein Entwurf, die Skizze der vielen Möglichkeiten, Perfektion wird nur angestrebt, aber nie erreicht. Perfektion ist unmenschlich, sie existiert nicht auf diesem Planeten, in diesem Sonnensystem, in dieser Welt. Die Wohnung ist nie fertig, das Auto hat ständig Mängel, die Garderobe ruft nach Vervollständigung, der Körper wird zu wenig bewegt und zu lange wach gehalten, die Arbeit ist ein ewiges Übergangsstadium, eine Entwicklung zur Utopie hin. Die Gedanken malen Bilder, die physisch nicht existieren und was letzten Endes zählt, ist doch nur der Traum: Die Möglichkeit. Wir wollen gar nicht alles haben, wir wollen es nur begehren. Wir sind Fetischisten. Deshalb sollte das Butterbrot nie bis zum Rand beschmiert werden, was würde dann aus der Erinnerung an die Kindheit und Mama werden? Wir halten uns die Vergangenheit als Perfektion und auch die Zukunft, nie aber die Gegenwart.

Doch dann werden wir älter! Die Zukunft schrumpft Jahr für Jahr und mit ihr die Ansprüche, die Träume. Das Leben wird konkreter, greifbarer. Längst haben wir aufgegeben alles begreifen zu wollen, die ganze Komplexität des Seins. Wir ziehen uns zurück in eine kleine, abgeschlossene Welt. Wir nehmen hinein, was uns beliebt, schaffen uns ein kleines perfektes Idyll, einen wahren Traum. Das Traumhaus, das Traumauto, die Traumfamilie. Die Traumfrau, die selbst als Kind die guten Butterbrote von Mama genoss, machte sich nie die Mühe für sich selbst so akribisch zu schmieren. Jetzt aber, wo die Familie da ist, die Zukunft verblasst, das Idyll aufblüht, sucht sie die schönen Dinge des Lebens und findet sie im randlosen beschmieren eines Brotes mit Butter, für die Kinder, für den Mann, aber doch eigentlich für sich selbst, für die Mama. Schleichend verwandeln wir uns vom Fetischisten zum Perfektionisten. Erfahrung nennen wir es, oder, die wahren Dinge des Lebens schätzen zu lernen, sich Zeit nehmen, die Natur genießen, nicht zu hektisch alles an sich vorbeiströmen lassen. Das ist wichtig, ja, und schön; und es macht uns glücklich, darum geht es doch – oder? Weil aber nicht immer alles so gut funktioniert, wie wir es wünschen, wird die Welt, in welche wir uns zurückziehen, immer kleiner, immer enger. Die vielen unbekannten Größen und Variablen werden einfach ausgegrenzt. Die Intoleranz wächst. Und weil wir dann so viel Zeit übrig haben, obwohl sie eigentlich immer knapper wird, können wir uns wieder den Butterbroten zuwenden. Endlich hat dieses vage Leben ein Ende, endlich wird uns etwas gegeben, was wir in den Händen halten können, endlich sind wir nicht mehr frei.

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