Biutiful (2010)

Biutiful Schlimm, schlimmer, am schlimmsten, BIUTIFUL. Noch nie sah Barcelona so beschissen aus. Eine großartige Tortur.

Den Umgang mit dem Tod des Vaters thematisierte zuletzt die Regisseurin Pernille Fischer Christensen in EINE FAMILIE, wobei sie laut eigener Aussage aus ihrem Privatleben schöpfte. Alejandro González Iñárritu gedenkt in BIUTIFUL auch dem Tod seines Vaters, wählt dazu jedoch einen ganz anderen Blick auf den Sterbenden. Wie schmerzlich diese Erfahrung für ihn gewesen sein muss, kann jeder Zuschauer nur allzu deutlich spüren. BIUTIFUL verteilt Bitterkeit und Qual an sein Publikum, frei nach dem Motto des geteilten Leides. Die ausweglosen Situationen, kaputten Gestalten und verkommenen Orte, die der Film für seine Erzählung wählt, transportieren das Leid aber dennoch unaufdringlich, da Mitleid, Bestürzung und Ohnmacht als Reaktion nur im Zuschauer entstehen können, dem eigentlich Betroffenen aber verboten sind.

Die Auslassung der Chemotherapie des krebskranken Uxbal (Javier Bardem) in der Erzählung, soll den Zuschauer keinesfalls schonen, der Film findet stattdessen schlimmere Szenen. Uxbal, der mit illegalen Einwanderern sein Geld verdient, indem er Afrikaner auf den Strassen Barcelonas Ramsch verkaufen lässt und Chinesen auf Baustellen schickt, hat erstaunlich viel Gewissen. Von Anfang an verkörpert er den Blick des unbedarften Zuschauers in eine Welt voller Elend, Schmutz, Niedertracht, Dummheit und Gemeinheit. Groß muss die Liebe des Regisseurs zu seinem Vater gewesen sein, dass er es wagte, eine Filmfigur so ganz ohne Makel zu zeichnen, deren einzig ernst zu nehmender innerer Konflikt der Krebs ist, der ihn auffrisst. Umso verwunderlicher ist es, wie diese Gestalt sich in solch einem verkorksten Leben wiederfinden konnte, in einer schmutzigen kleinen Wohnung mit Wasserflecken an der Decke. Von seinen zwei Kindern (Hanaa Bouchaib, Guillermo Estrella) ist einer ein Bettnässer, die getrennt lebende Mutter (Maricel Álvarez) ist psychisch gestört, abwechselnd von Medikamenten und Alkohol abhängig und schlägt ihre Kinder. Kann da noch stören, dass sie eine Hure ist? Und dann wäre da noch Uxbals Beruf, der die Ärmsten der Armen in den Tod treibt. Uxbal kann kein guter Mensch sein. Dennoch ist er liebevoll, rücksichtsvoll und fürsorglich, und das passt nicht zusammen.

Genauso wenig passt zu einer derart realitätsnahen und trostlosen Geschichte, dass in Spiegeln und unter Zimmerdecken Verstorbene erscheinen, die nur Uxbal sehen und verstehen kann. Beide Male hat Uxbal den Blick eines Außenstehenden, bei den Toten wie bei den Lebendigen. Er gehört eigentlich in keine der beiden Welten, entspricht aber genau jenem Mittel, das gebraucht wird, um kontemplativ und nicht aktiv zu dramatisieren. Was der Film, der Regisseur oder der Protagonist nicht tun kann, ist verurteilen. Stattdessen findet sich in jedem Drecksloch, in jedem Penner, in jedem Schreibfehler und in jedem dämlichen Handtuchhaken in Herzform, der, verdreckt wie er ist, an einer heruntergekommenen Küchenwand klebt, etwas Herzzerreißendes. Uxbal, wenngleich fabelhaft verkörpert, ist eigentlich keine wirklich Figur, zu unmöglich ist er gezeichnet. Er ist lediglich Platzhalter für den schmerzvoller Blick des Zuschauers, der nur deswegen kein Selbstmitleid enthüllt, weil der Zuschauer das Mitleid Uxbals tragen muss, wohingegen dieser selbst-lose und unprätentiöse Held gut und nur gut sein darf, zumal er am Bodensatz der Gesellschaft und unter Damokles Schwert agiert und für alle Mitgefühl empfindet, außer für sich selbst. Erst der Zusammenschluss der Verkörperung Javier Bardems mit dem Blick des Zuschauers generiert diesen unmöglichen Uxbal, weswegen alles so sehr an die Nieren geht.

Trotz unglaublicher 147 Minuten ist BIUTIFUL nicht langatmig, springt oftmals so schnell umher, dass man ihm kaum folgen kann, erzählt allerhand Nebengeschichten und bleibt unter dem Strich vor allem  eins: Quälend. Sogar Santaolallas Musik quält, Barcelona quält, die dämlich schwenkende Handkamera quält, das Erbrechen und das Blut im Urin quält, die Schwäche der Figuren quält und es verwundert, dass ein Film, in dem die Steigerung des Superlativs von Schlimm tatsächlich möglich ist, den Tod nicht akzeptieren kann.

González Iñárritu hat sich weit aus dem Fenster gelehnt. Er hat einen beeindruckenden Film  gemacht, der noch lange in Erinnerung bleiben wird und vielleicht Kinogeschichte schreibt. Bei BIUTIFUL muss es heißen, es ist ein guter Film, obwohl er soviel falsch macht und so schlimm ist, bestimmt nicht weil er das tut.

Information:

Spanien, Mexiko 2010

Dauer: 147 Minuten

Regie: Alejandro González Iñárritu

Drehbuch: Alejandro González Iñárritu, Armando Bo, Nicolás Giacobone

DoP: Rodrigo Pietro

Musik: Gustavo Santaolalla

Darsteller: Javier Bardem, Karra Elejalde, Blanca Portillo, Rubén Ochandiano, Eduard Fernández, Nicole Garcia, Martina García

Genre: Drama

Im Kino ab: 10.03.2011

Im Web:

Biutiful in der IMDb

Bilder und Trailer zur Filmkritik von Biutiful auf der offiziellen Website

Kinotrailer von Filmtrailer.com

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