Erzählung einer Transgression: Ein Liebesfilm jenseits der Liebe.
Ob es um etwas geht, das vollkommen Sinn macht oder um den perfekten Sinn, das lässt Regisseur David Mackenzie in seinem Ausnahmefilm nur scheinbar offen. Lediglich vordergründig besteht PERFECT SENSE aus flacher Dramaturgie und symmetrischem Plot. Dahinter aber tut sich eine Tiefe auf, die selbst die Konzentration des menschlichen Ichs durch Erinnerung und Körperlichkeit auffächert und so das Sein mit der Welt zerfließen lässt, in trauriger Harmonie. Dies auf der Leinwand darzustellen erfordert Mut zur Leerstelle, doch mit dem bewährten Rückgriff auf die Erzählung selbst, kann das Alles im Nichts relativistisch gebrochen und so erfahrbar gemacht werden. Damit erinnert Mackenzie an Chris Marker und Terrence Malick und liefert einen emotionalen, traurigen, philosophischen, poetischen und schönen Film ab, der nicht bei jedem auf Liebe stoßen wird, gewiss aber unvergesslich bleibt.
Koch Michael (Ewan Mc Gregor) verliebt sich in Epidemiologin Susan (Eva Green), gerade als die Welt unterzugehen beginnt: Die Menschen verlieren ihre Sinne, und wie beim Lebensfilm des Nahtoderlebnisses erfahren sie die stärksten emotionalen Erinnerungen des jeweiligen Sinns, kurz bevor er ihnen abhanden kommt. Das führt zu unschönen, skurrilen und auch sehr bewegenden Szenen, die meist in schönen Bildern und mit gewaltig melancholischem Soundtrack von Max Richter daherkommen. Neben zeitgebremster Moodfilmästhetik gibt es auch geschüttelte „Realismus-“ Momente. Insgesamt verzichtet der Film eher auf pompöse Sets und zeigt das Große mehr im Kleinen. Susan wie Michael halten andere Menschen auf Distanz, weswegen sie sich sehr verhalten näherkommen. Doch je mehr Sinn sie verlieren, desto näher müssen sie sich kommen. Um dem Film gerecht zu werden, soll folgendes Protokoll, welches nach der Vorführung von mir in der S-Bahn festgehalten wurde, die Kritik ersetzen. Es ist kein SPOILER, kann aber als solcher gedeutet werden, daher lieber nicht lesen, wenn sie unberührt in den Film gehen wollen:
Ich möchte allein sein. Die Sonne im kalten Himmel auf der Haut genießen. Das ist der Grund, warum ich ins Kino gehe. Das ist der Grund, warum die Beschäftigung mit Filmen wichtiger sein kann, als jede andere Arbeit. Das Ende — wie der ganze Film — ist nur für jene gemacht, die den Kontrast haben. Es wird nicht so weitergehen, das Leben. Der Verlust war noch frisch, auch wenn was anderes suggeriert wird. Die Erinnerungen gehen weg, die Menschen werden anders. Es ist vor allem die Erzählung, mehr als der Inhalt, welche dieses wissende, traurige Gefühl schafft. Es entsteht erst im Kontrast zwischen dem was passiert und dem, wie es einem erzählt wird, dem es nicht passiert. Viele Leerstellen, wie bei Marker. Fotos genügen. Keine Massenszenen, stattdessen Erzählerstimme und Fotos. Unperfekte Ehrlichkeit im Gesicht von Eva Greene. Krieg in der Küche. Kälte des Films ist die Kälte der tragischen Trauer nach Scheel oder Kierkegaard. Max Richters Musik entfaltet zusammen mit dem Film eine Traurigkeit, deren sanftes Gewicht mehr nach unten zieht als es das Gewicht sämtlicher Ozeane der Welt auf der Brust eines am Meeresgrund Liegenden tut. Es drückt einen durch die ganze Erde hindurch und man ist endlich bereit zu sterben, weil man nun weiß, dass man gelebt hat. Dass die Freude kommt war klar, Dramaturgie sehr simpel, wie alles sehr vorhersehbar und mathematisch und symmetrisch. Noch nicht einmal Schauspiel besonders, aber sehr ehrlich inszeniert — durch alles hindurch blickend und den Kern enthüllend. Werbeclipbilder, Musik, aber nicht die Hochglanzvariante, sondern die Moodige. Mit Musik, Zeitlupen und scheinbar aus dem Leben gegriffenen Bildern von überall aus der Welt, wie sie auch Emmerich und Petersen und Bay und Co.
verwenden. Gleiches Prinzip, nur anderer Style. Sogar gleiche Emotionen nur kantigerer Film, der mehr wagt unterzugehen. Er nimmt alles. Mackenzie nimmt alles…alles. Alles nimmt er weg. Aber er lässt die Stimme einer Erzählerin, an der sich auch der sinngebannte Zuschauer haftet wie an die Lippen eines Wesens, das mehr weiß, das die Zusammenhänge kennt und das uns beruhigt, weil seine Stimme selbst ruhig leibt. Der Erzähler wird zum Gott, dem blind vertraut werden muss, obwohl er doch gar nichts weiß, außer der Erzählung selbst. Es ist eine Tragödie. Sie sehen für den, der noch sehen kann, so aus wie normal Liebende. Man weiß nicht, ob noch jemand sehen kann. Man gesteht ein, dass nicht alles gezeigt werden kann, was gefühlt wird. Man erkennt, dass das meiste unwichtig ist. Und dass wir uns doch über diese unwichtige Arbeit am Leben erhalten. Man sieht, wie viel der Mensch zu ertragen bereit ist. Mackenzie drückt Gefühle aus mit seinem Erzählen, so diffus sie auch sein mögen und der Mensch — unfähig sich auszudrücken -– sinnlich sinnlos und sinnlos verloren, nimmt diesen Ausdruck dankbar an und ist nicht mehr ganz allein in der Welt, sondern wird verstanden vom Gefühl der Tränen auf der Wange des Partners. Was ist Perfect Sense? Touch? Der Alles-Sinn. Die anderen sind nur Varianten. Touch ist die Bedingung der materiellen Existenz, sonst ist der Mensch nur noch Geist und somit nicht. So aber kommt er ins Sein des vergänglichen Lebens, vergänglich wie der Sinn des Taktilen selbst. In der Anordnung der Materie, der Struktur alles Fassbaren, verbirgt sich letztlich jede Erinnerung und jedes Gefühl. Bewusstsein steht und fällt mit der Abgrenzung zum und der Berührung des Außen. Wird alles eins, gibt es kein Außen mehr, und keine Menschen – alles wird eins und ergibt einen Sinn, der nicht mehr benötigt wird. Den perfekten Sinn.
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La Jetée
Information:
Deutschland, UK, Schweden, Dänemark 2011
Dauer: 92 Minuten
FSK: keine Angabe
Regie David Mackenzie
Drehbuch: Kim Fupz Aakeson
DoP: Giles Nuttgens
Musik: Max Richter
Darsteller: Ewan McGregor, Eva Green, Connie Nielsen, Stephen Dillane, Ewen Bremner, Alastair Mackenzie, Denis Lawson, James Watson, Richard Mack, Caroline Paterson, Shabana Akhtar Bakhsh, Malcolm Shields, Liz Strange, Adam Smith, Duncan Airlie James
Genre: Drama, Liebesfilm, Tragödie
Im Kino: 08.12.2011
Im Web:
Bilder und Trailer zur Filmkritik von Perfect Sense auf der offiziellen Website
Copyright Bilder und Trailer: Senator