Zeit ohne Geist: Andrew Niccol untergräbt seine eigene Genialität.
Was heute noch Geld und Zinsen erledigen, wird in der Zukunft von IN TIME ganz auf das Ticken der Uhr reduziert: Die Hierarchisierung der Gesellschaft, die Niederhaltung und Ausbeutung der Massen, die Nummerierung und Zählbarmachung des Lebens. Wie eine Brandmarke wirkt die digitale Uhr, die den Menschen unter die Haut gezüchtet wird. Für manch wenige mag dies ein Statussymbol sein, die meisten jedoch retten sich von Tag zu Tag und arbeiten für ein paar Stunden Leben. Ab dem 25. Lebensjahr altern die genetisch veränderten Körper nicht mehr, wer also genug Zeit hat, wird nie mehr sterben. So weit das eindrucksvolle Setting von IN TIME, der leider weit weniger eindrucksvoll in Szene gesetzt wird.
Will (Justin Timberlake), ein Arbeiter aus dem Ghetto, kommt unverhofft zu einer großen Menge Zeit, die ihm im Nu eine große Menge Ärger einhandelt. Mit dem unausgegorenen Plan der ausbeuterischen Zeitverteilung ein Ende zu machen, begibt er sich in die Zeitzone der reichen Unsterblichen. Dort trifft er auf die gelangweilte Sylvia (Amanda Seyfried), die nur darauf giert etwas Unvernünftiges zu tun. Nach einer James Bond Casinoszene zwischen Will und Sylvias Vater Philippe (Vincent Kartheiser), einem Zeitkredithai, scheint nicht nur der Weg zur schönen Sylvia, sondern auch zur Unendlichkeit gebahnt zu sein.
Die Ausstattung des Films erweist sich als irgendwie inkohärent und bleibt weit davon entfernt so realitätsresistent wie Niccols (Regie) GATTACA zu sein. Wider erwarten lässt sich die eigentlich schöne Geschichte zu viel Zeit, um voranzukommen. Das bringt nicht wenige Zuschauer im Kino dazu geschwätzig zu werden, so als liefe nur eine durchschnittliche Vorabendserie im Fernsehen. Sounddesign, Musik, Schnitt und Auflösung der Szenen, vor allem in actionreichen Momenten, reichen auch kaum über einfaches Fernsehen hinaus. Oftmals hapert es ganz gewaltig an einer Inszenierung, die nicht in der Lage ist, Bewegung und Raum in eine dramatische Handlung zu überführen ohne ungelenk zu wirken. Trotz Kamerastar Roger Deakins wird IN TIME nicht als sonderlich bildgewaltiger Film in Erinnerung bleiben, was schon beim ersten Bild klar wird. Irgendwo zwischen Drehbuch und Regie (beides Niccol) geht der Drive der Handlung verloren und dem Zuschauer werden alberne Szenen zugemutet — wie jene, wo Will und seine Mutter (Olivia Wilde) sich unter Zeitdruck mit ausgestreckten Armen entgegenlaufen, um ihre ablaufende Uhr aufzuladen. Sowohl die Umsetzung der Bewegung als auch die dramaturgische Weiterverarbeitung dieses Motivs ist schlichtweg plump.
Mit kaum mehr Finesse wird Timekeeper Raymond (Cillian Murphy) präsentiert, der Will von Anfang an auf den Fersen ist und auch dann nicht locker lässt, als Sylvia mit Will in Bonnie und Clyde Manier einen vollkommen surrealen und kitschigen Feldzug gegen das System starten, sehr zur Freude der Armen. Raymond, dessen Aufrichtigkeit sich neben seinem erhobenen Haupt vor allem in seiner erigierten Körperhaltung mit geschwollener Brust präsentiert, wirkt manchmal, als gehöre er eigentlich ins Studio nebenan, wo gerade Abercrombie & Fitch eine Werbung dreht. Wie viele andere Figuren dient er als bloßes „Anschauungsobjekt“; nur wurde er nicht dementsprechend inszeniert. Den beiden Hauptdarstellern Timberlake und Seyfried gelingt es immerhin ab und an in Momenten der Selbstironie schöne Szenen zu erschaffen, die aber vom Science-Fiction Spektakel isoliert bleiben. Dass eine so simple wie durchschlagende Idee mit derart viel kritischem Potential und Nachdenklichkeit einer so uninspirierten Umsetzung erliegt, schmerzt. Am Ende ist IN TIME nichts weiter als durchschnittliches Entertainment mit peinlichen Momenten.
Ähnliche Filme:
Gattaca, Equilibrium, Brazil
Information:
Engl. Titel: In Time
USA 2011
Dauer: 109 Minuten
FSK: 12
Regie: Andrew Niccol
Drehbuch: Andrew Niccol
DoP: Roger Deakins
Musik: Craig Armstrong
Darsteller: Olivia Wilde, Justin Timberlake, Alex Pettyfer, Amanda Seyfried, Matt Bomer, Cillian Murphy, Johnny Galecki, Elena Satine, Vincent Kartheiser, Yaya DaCosta, Rachel Roberts, Ethan Peck, Toby Hemingway, Bella Heathcote, Jessica Parker Kennedy
Genre: Science Fiction, Action, Thriller, Dystopie, Anti-Utopie
Im Kino: 01.12.2011
Im Web:
In Time in der IMDb
Bilder und Trailer zur Filmkritik von In Time auf der offiziellen Website
Copyright Bilder und Trailer: FOX