Vorwort:
Die beiden Filme sind eine Kino Neuverfilmung der japanischen Fernsehserie Neon Genesis Evangelion von 1995. Zwei noch ausstehende Filme werden die Tetralogie vervollständigen. Die Geschichte wurde im Vergleich zur Serie verändert, der Stoff insgesamt gestrafft. Neon Genesis Evangelion ist eine der bekanntesten Anime Produktionen. Der dritte Teil soll 2012 fertiggestellt werden.
Ohne große Worte wird man in EVANGELION mitten in die Geschichte geschleudert. Dramaturgisches Grundprinzip bleibt das Mysterium, die nur andeutungsweise gegebenen Erklärungen und die erst rückblickende Zusammensetzung des Puzzles. In einer Art Godzilla Auftritt betritt ein gigantisches Wesen das Festland Japans und steuert auf Neo Tokyo 3 zu. Phalangen von Kanonenrohren, Raketenbatterien, Kampfflugzeugen und Bombern nehmen das Engel genannte Wesen unter Beschuss, ohne Erfolg. Die Technik und Waffenaffinität des Films wird von Anfang an ausgestellt, die brachiale Körperlichkeit der Kampfmittel und Maschinen bildet einen zentralen Aspekt in EVANGELION. Inmitten der Stahlkolosse ein kleiner Junge, Shinji Ikari. Er stellt nicht nur den physischen Kontrapunkt zu seiner Umwelt dar, sondern ist auch mit den genretypisch reinen Emotionen und Bedürfnissen des Kindes der Gegenpol zum strategischen Krieg der Erwachsenen. Shinji ist auserwählt, ohne zu wissen warum und wozu. Durch die Augen des ahnungslosen und verunsicherten Kindes erlebt der Zuschauer den Kampf zwischen Engel und humanoidem Riesenroboter, in dessen Kern der Junge als Pilot gesteckt wird, neuronal verknüpft mit der Maschine, die er mit der eigenen Sensomotorik steuert. Evangelions, so der Name dieser Roboter, sind der letzte Schutz der Menschheit vor den Engeln und dem Third Impact. Was dies zu bedeuten hat, wird bewusst verschwiegen.
Andeutungsweise gibt der Film Einblick in die Arbeit zweier Geheimorganisationen, wobei die der Uno zugehörende NERV das Evangelion Roboter Projekt leitet, wohingegen SEELE mit seinen Andeutungen und Prophezeiungen sehr kryptisch bleibt und einer Art Masterplan der Menschheit zu folgen scheint, der die Zukunft bereits kennt. Die Filme spielen stark mit christlicher Symbolik und Terminologie und tänzeln stets um das Kernthema Mensch-Maschine-Gott, was immer auch Freiheit impliziert. Regelmäßig stattfindende Angriffe der Engel müssen von den Evangelions abgewehrt werden, was zunehmend schwerer fällt. Dazwischen findet ein Drama um Hauptperson Shinji Ikari statt, der von seinem Vater, dem Leiter des Evangelion Projekts, brüsk zurückgewiesen wird. Zudem muss Shinji sich mit den Kinderpiloten der anderen Evangelions auseinandersetzen, was ihn emotional sehr belastet, zumal er im Gegensatz zu ihnen (vermeintlich?) nicht freiwillig das Evangelion steuert und große Angst hat. Einzig zu dem Mädchen Rei Ayanami fühlt er sich hingezogen. Dieses verschlossene und emotional vollkommen absent wirkende Geschöpf zieht trotz oder gerade wegen ihrer robotischen Art Shinji‘s Gefühle auf sich.
Auf epische Art fügt EVANGELION grundlegende Fragen der Menschheit und des Menschseins mit fantastischen Elementen der High Tech Welt und christlicher Religion zusammen, was religiöse Mythologie in modernem Maschinengewand neu interpretiert und schmerzhafte Erkenntnisse der Philosophie fantastisch mystifiziert. Die Evangelions, als der Gipfel der Maschinentechnologie, ver-Körpern den Menschen und scheinen ihn seiner Körperlichkeit zu berauben. Doch genauso ver-Körpern sie Geist auf anderer Ebene neu. Die Rolle des menschlichen Körpers übernimmt die aus dem Geist erschaffene High Tech Physis. Der Geist emanzipiert sich also über den Körper, ist aber nicht in der Lage die erschaffenen, amorphen Maschinenkörper der menschlichen Körperlichkeit vollständig zu entheben, zumal er selbst seine Gedanken hieraus speist. Unter dem Geist wird aus der ursprünglichen Körper Geist Dualität das Feld menschlicher Körper versus maschinische Physis eröffnet – wobei eine Verschmelzung beider Pole einzutreten scheint. Ist nun der Mensch in der Maschine gefangen oder ist er durch sie frei? EVANGELION wirft mehr Fragen auf, als dass sie beantwortet werden, regt so aber zum Denken an und macht das Filmerlebnis sehr aktiv.
Dass die Hauptfiguren Kinder sind, ist schlichtweg ein kluges Stilmittel, um durch überzogenes Gebärden emotional eindeutige Prototypen zu schaffen. Es handelt sich bei EVANGELION keinesfalls um einen Kinderfilm. Zudem blickt Schöpfer Hideaki Anno gerne und oft unter die knappen Röcke seiner gezeichneten Figuren. Auch die Waffenvernarrtheit enthüllt auf den zweiten Blick eine kritische Haltung, die aber dennoch das Faszinosum der Gigantomanie weitertransportiert, bzw. eben diese übermäßig zur Schau getragene und ins extreme gesteigerte Körperlichkeit als eine Sackgasse aufzeigt, solange die Emotionen fehlen. Der Soundtrack ist oppulent und teilweise recht gewöhnungsbedürftig, genauso wie die Ästhetik der Zeichnungen, die zwischen düsterer Science Fiction und Teletubbies Regenbogen schwankt. Die Animation findet meist sehr gelungene Bilder um sich zu erzählen, oft angewandt wird dabei der Blick am eigentlichen Geschehen vorbei oder aber die Figuren Reden mit dem Rücken zum Zuschauer. Die Allmacht der gezeichneten Welt wird so gewinnbringend gebrochen, Figuren werden ihren Charakteren entsprechend aufgeladen und das Ganze erinnert stark an die Bebilderung und Inszenierung eines Realfilms.
Ähnliche Filme:
Ghost in the shell, Ghost in the Shell 2, Appleseed, Akira
Information:
Evangelion: 1.0: You Are (Not) Alone
Japan 2007
Dauer: 98 Minuten
Regie: Masayuki, Kazuya Tsurumaki, Hideaki Anno (supervising)
Drehbuch: Hideaki Anno
DoP: Anime
Schnitt: Hiroshi Okuda
Musik: Shirô Sagisu
Genre: Anime, Fantasy, Scifi
Im Kino ab:
Im Web:
Bilder und Trailer zur Filmkritik von Evangelion 1.0 auf der offiziellen Website
http://www.youtube.com/watch?v=DouO2EHVLCU