Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford (2007)

Die Ermordung des Jesse James Irgendwo zwischen Biopic, Spätwestern, Märchen und Hommage bewegt sich dieser außergwöhnliche, langsame, psychologische und emotionale Film.

Der Film erweckt den Eindruck, als hätte Drehbuchautor und Regisseur Andrew Dominik (nach dem gleichnamigen Roman von Ron Hansen) begonnen über die Legende Jesse James (Brad Pitt) zu recherchieren, um dann den Fortschritt seiner Nachforschungen und den damit verbundenen Wandel seiner Einsichten auf diesen amerikanischen Helden als dramaturgischen Bogen zu verwenden. Die Erzählerstimme gibt dabei den Faden und die Haltung des Regisseurs wieder. Gleich zu Beginn wird Jesse James ähnlich einer Naturgewalt oder eines Phänomens pathetisch bebildert eingeführt als einer, der allein durch seine Anwesenheit die Temperatur des Raumes steigern kann. Seine häufig blinzelnden Augen verlangsamen die Zeit und das alles passt zu den Mythen des Außergewöhnlichen, die sich um diesen Mann ranken. Mit diesen Informationen beginnt das Nachspüren, doch James wird den makellosen Helden nicht bis zum Ende stehen können, wenngleich Dominiks Bewunderung für den Mann bis zuletzt spürbar bleibt.

Dass es hauptsächlich um den Mythos des Mannes und die von ihm erweckten Emotionen mitsamt ihrer Anziehungskraft geht, beweisen die vielen kontemplativen Bilder und Momente. Keine Schießereien, keine Action, keine Brisanz. Stattdessen wirkt alles; schleichend und unaufhaltsam, sei es die mächtige, denotative Natur oder der große Jesse James, der ebenfalls nur für das steht, was er ist, ohne zu erwähnen was er ist oder wofür er steht. Kant sprach in solchen Momenten vom Erhabenen. Wenn man einen Stern am Firmament fixiert, verschwindet er häufig, denn durch das Fixieren treffen die Lichtstrahlen auf den blinden Fleck in der Netzhaut und das Bild wird unscharf oder geht ganz verloren. Nur wer ein wenig neben den Stern blickt, erhält ein scharfes Bild. Den Stern James fixiert Dominik’s Film erst über den Feigling Robert Ford (Casey Affleck), dessen Bewunderung für seinen kriminellen Zeitgenossen am besten als Manie beschrieben werden kann. „Ich verstehe es nicht, willst du so sein wie ich, oder willst du ich sein?“, wird er von James einmal gefragt. Macht das Wollen diesbezüglich denn einen Unterschied?

Robert Ford schafft es in die James Bande zu gelangen und er schafft es, Jesse näher zu kommen als all die anderen Banditen. Er schafft es sogar James zu töten, aber er schafft es nicht ihn zu hassen. Stattdessen tötet er den, vor dem er Angst hat, weil er ihn nie ganz versteht. Er tötet den, den er liebt – den er vielleicht liebt, weil er ihn nicht fassen kann. Von Jesse James Wasser zu trinken und in seinem Bett zu liegen, sein Leben in Zahlen zu vermessen und die Geschichten über ihn zu verschlingen gibt keinen Zugang und so bleibt das Bild, das Ford sich von ihm machen kann ebenfalls unscharf. Lediglich der Zuschauer darf so ein wenig näher an James heran, im Durchblick sozusagen, zwischen Ford und James selbst. James ist nachdenklich und getrieben, vorsichtig und leidend. Er blinzelt häufiger, weil er krank ist, nicht schläft, niemandem vertraut und ganz alleine steht. Seine Familie, mit der er von Stadt zu Stadt zieht, um nicht geschnappt zu werden, verbleibt blass im Hintergrund, wie ein Ornament das ihn schmückt, das aber auch abgelegt werden kann. „Weil es mir egal ist mit wem ich reite, hält man mich für gesellig“, lässt er verlauten, doch das gesagte verhallt unkommentiert. Keiner versteht ihn, so deutet der Film an, aber dem Zuschauer wird hier ein Einblick gewährt, den kein Geschichtsbuch geben kann: Eine Wahrheit, die James Tod in einem anderen Lichte zeigt und die wohl einzig und allein der Fantasie und Leidenschaft des Regisseurs entsprungen ist. Was dieser Film vermittelt, ist trotz aller Recherche nicht ein Bild von Jesse James, sondern ein Bild von Andrew Dominik’s Recherche und seinen Gefühlen zu Jesse James – und nichts anderes kann und darf ein Film tun.

Freilich ist Robert Ford ein Feigling, aber vielleicht anders, als man sich den Mörder von James vorstellen möchte. Der Film thematisiert Ford vielleicht sogar mehr als James, denn über Ford wird James erst vermenschlicht und über Ford rechnet der Film mit all jenen ab, die das Unbegreifliche, das Fremde, das Andere und das Angsteinflößende nicht ertragen können, ohne es zu assimilieren oder zu töten. Dabei sind sich die beiden gar nicht so unähnlich, denn beide leben in Angst und töten im Zweifelsfall lieber den anderen, als selbst zu verlieren. Nur, wo es James schafft gefürchtet zu werden, wird Ford verlacht und wo es James schafft der Angst zu entkommen, da schaufelt Ford sich endgültig sein Grab in der Geschichte. So wird der eine als Held und der andere als Feigling geführt, der zum Helden werden wollte, den er tötete.

Bilder und Trailer zur Filmkritik von DIE ERMORDUNG DES JESSE JAMES DURCH DEN FEIGLING ROBERT FORD

Trailer Jesse James

Informationen:

Jahr: USA 2007

Regie: Andrew Dominik

Drehbuch: Andrew Dominik

Darsteller: Brad Pitt, Casey Affleck, Sam Rockwell, Mary-Louise Parker, Sam Shepard, Paul Schneider

DoP: Roger Deakins

Genre: Biopic, Spätwestern, besonderer Film

Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford im Web:

Die Ermordung… in der IMDb

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