Vielleicht Afrika – Kurzgeschichte

Beginnt mein Traum in Afrika, ich weiß es nicht. Aber ich sehe ihn vor mir, diesen schwarzen jungen Mann mit breiten Schultern. Er hat ein Mädchen bei sich und ich auch, und gemeinsam ziehen wir übers Land. Die Farben sind gelb und braun und ich wohne in einem Dorf der Eingeborenen. Nein, ein Dorf ist es nicht. Es ist wie ein großes Feld mit Knochen und Holzskulpturen, sehr schön. Und eine Art Zelt, in welchem die Ältesten wie in Trance vor sich hin philosophieren. Ich liege im Zelt, und alle sind nett zu mir. Auf einer blauen Luftmatratze – wie kommt die wohl hierher, an das Ende der Zivilisation? Ich fühle plötzlich, dass ich hier nicht liegen sollte, ich bin so zentral, das ist vielleicht ein heiliger Ort auf der Luftmatratze. Aber keiner will etwas sagen, sie sind sehr höflich, sehr nett zu mir. Ich liebe das Mädchen, irgendwie, aber es gibt so viel anderes zu tun. Spielen. Ich glaube, was wir den ganzen Tag tun, ist spielen, an diesem mythischen Ort, über dem schon dunkle Wolken hängen, die ich jedoch noch nicht sehen kann. Dann gibt es da noch einen Fluss und Tiere, und ich kann so viel lernen. Der schwarze junge Mann heißt Mumpktne oder so ähnlich, seinen Namen konnte ich mir nicht merken. Oft sind wir auf dem großen Feld mit den Knochenskulpturen, da kann man Spiele machen, mit einem Ball, es ist alles sehr aufregend, sehr idyllisch, sehr ehrlich und intensiv. Alles hat hier Bedeutung. Sie nehmen mich auf in ihre Gemeinschaft, und so werde ich mit ihren Problemen vertraut gemacht. Ich glaube es gibt bald nichts mehr zu Essen, aber offen sprechen sie nicht darüber. Auch wundert mich, dass es fast keine jungen Menschen gibt, sondern nur Greise. Vor dem Zelt befinden sich zwei große quadratische Kästen, wie eine Art Sandkästen, gefüllt mit mir unbekannten Pflanzenblättern. Der vordere ist ihre Toilette. Die Blätter haben eine spezielle Funktion, man kann nichts sehen und nichts riechen, alles wird umgewandelt. Man kann sogar durchlaufen. Alles im Einklang mit der Natur. Dann müssen wir weg, Mumpktne und ich. Wir machen uns auf eine Reise, den Grund der Reise kenne ich nicht. Irgendwo in der Ödnis nimmt uns ein Pickup mit und bringt uns in eine trostlose Stadt. Wir suchen Essen. Doch wir finden nichts. Überall hungernde Menschen, Knochengerüste und noch viel entsetzlicher. Auf einer Bank neben uns sitzt ein Mann, dessen blanker Schädelknochen in der Abendsonne blitzt. Er nagt auf irgendetwas herum. Sie essen sich selbst, sagt mit Mumpktne. Sie starren ihn alle an, weil er so kräftig und gut genährt wirkt. Mich auch. Doch viele können nicht mehr starren. Auf einem Stein sitzt ein Mann, dessen Schädel bis zu den Ohren frei liegt. Ein Stück seines Hinterkopfes fehlt und durch die leeren Augenhöhlen kann man das öde Land hinter ihm sehen. Mumpktne erklärt mir, dass diese Menschen so verzweifelt sind, dass sie ihr Gehirn essen. Dann müssen sie weniger schmerz leiden und können sich Stück für Stück verzehren. Ich bekomme Angst. Ein Mann, der noch ein Gehirn hat, kommt mit einem Messer auf mich zu. Mumpktne beschützt mich, er verletzt den Mann. Sogleich kommen andere und reißen sich um sein Fleisch, sie töten sich alle gegenseitig und ein Hund zieht eine der Leichen mit seinen scharfen Zähnen davon. Wir entschließen uns zu gehen, denn hier gibt es nichts zu Essen. Wir nehmen ein Auto, denn die Besitzer des Autos sind verhungert. In der Wüste sehen wir einen Mann, der so dünn ist, dass er eigentlich nicht mehr Leben dürfte. Wir nehmen ihn ein Stück weit mit. Er erzählt uns von der Stadt, wo die Menschen sich selbst essen und wie schrecklich alles ist, aber er bringe es nicht übers Herz das zu tun, deshalb laufe er weg. Dann stirbt er auf der Rückbank. Wir sind sehr hungrig, sein Herz schmeckt gut, es ist sehr groß.

Wir haben nichts zu Essen mitgebracht und werden trotzdem herzlich empfangen. Die Greise scheinen nicht überrascht und obwohl man sehen kann, wie sehr alle hungern, sind alle so lieb und geben uns das Gefühl von Geborgenheit, nachdem wir diese Hölle verlassen haben. Die Mädchen lieben uns und wir sie. Sie stellen keine Fragen. Es ist als würden sich hier alle ohne Worte verstehen, doch die Greise wirken immer resignierter, anders als die Mädchen. Sie haben vielleicht keine Liebe mehr, von der sie zehren können. Ein Schamane verzagt, es ist derjenige, der die Blätter in dem Toilettenkasten beschwört. Er meint der Kasten ist voll, die Blätter können nicht mehr aufnehmen und er sei zu schwach neue Blätter zu machen. Er will auch nicht, glaube ich. Sie haben aber alle Angst einen Ort für die Toilette zu bestimmen, weil es stinkt und Krankheiten ausbrechen werden. Ich helfe ihnen eine Grube auszuheben und wir dichten sie mit den langen Haaren der Frauen ab. Es ist eine relativ gute aber keine schöne Lösung. Wie lange wird dieser Ort noch existieren? Er zerbricht. Das Ureinverständnis zwischen Mensch und Natur zerbricht. Dann müssen wir weg, wir waren gerade Ball spielen und trotz der Not fühlte ich mich glücklich, wie noch nie. Ich glaube, es ist Krieg, wir müssen weglaufen, alles aufgeben, das kann nicht sein. Die alten nehmen die Knochenskulpturen auseinander und gehen ins Zelt. Nur wenige junge versammeln sich draußen. Es wird beschlossen, dass wir alle fliehen, ich muss sie führen, weil ich aus einer anderen Welt komme und wir jetzt in eine andere Welt gehen müssen. Mir bricht das Herz. Etwas unglaubliches passiert. Der Älteste verwandelt alle bis auf die Jungen in kleine Küken, die schneller laufen können. Er selbst wird zum Elefanten und wir rennen davon. Der Elefant muss sehr vorsichtig sein, damit er die Küken nicht zertritt und eins, das er vorsichtig in seinem Rüssel trägt, hat er schon verletzt. Wir sind eine merkwürdige Herde, mit wenigen jungen schwarzen Kriegern, den zwei schönsten Mädchen der Welt, um uns gelbe Küken, so jung und unschuldig, geschützt vom großen, grauen Elefant hinter uns. Das Gefühl muss beim Weglaufen verloren gegangen sein, denn dieser Traum verschwand und ich fand mich mit Mumpktne, einigen anderen Jungen und den Mädchen in einer Stadt wieder, die Tiere waren verschwunden, vielleicht waren sie immer nur ein Traum, ein Traum von uns, der nur an diesem speziellen Ort funktionierte. Wir sind in einer Stadt und verstecken uns in einem Keller. Mit Meisel zertrümmern wir die Wände, um wenigstens ein bisschen Licht zu bekommen, wir sterben ohne das Licht. Da kommt eine Kontrolle und hört uns, wir machen Musik an. Ein kleines Mädchen steht an der Tür und ich versuche sie loszuwerden, denn sie ist ein Spion des Krieges, sie kommt mit in den Keller, doch alle verstecken sich. Ich kann sie abwimmeln, doch ich glaube sie hat uns durchschaut, sie verrät uns aber nicht. Vielleicht hat sie die Liebe gespürt, ihr Gesicht war sehr friedlich. Was die anderen gemacht haben, weiß ich nicht, aber ich glaube sie haben mich geschickt die Mädchen in Sicherheit zu bringen. So sitze ich mit den Mädchen in einem Flugzeug nach Hause, zurück bleibt irgendwo mein starker schwarzer Freund Mumpktne, ich weiß nicht, ob er noch lebt, ich muss auf sein Mädchen aufpassen, auf ihre Liebe, sie behüten. Doch als wir bei meinen Eltern in Deutschland sind, wird alles so kalt. Die Mädchen werden still, der Zauber geht verloren. Ich will weinen. Ich versuche verzweifelt einen mythischen Ort zu schaffen, nehme die beiden mit in unsere alte Scheune, zeige ihnen eine alte Traumwelt mit Figürchen, die im Heu Leben, das früher mal ein großes Gebirge in der Schweiz wahr, doch sie verstehen meinen Traum nicht.

Kurzgeschichte Christopher Haug

Nach oben scrollen