Fingermusik

Da ich schon lange nicht mehr mir zehn Fingern geschrieben habe, kann es nicht schaden wieder einmal ein wenig zu üben. Wie ich sehe, habe ich immer noch die gleichen Probleme mit den gleichen Buchstaben. Wieso will mein Gehirn partout nichts dazu lernen? Aber es kommen auch neue Mankos hinzu. Einmal verwechsle ich immer i und o, dann folgen k und l usw.
Ob ich es jemals schaffen werde meine Finger auf der Tastatur so einzusetzen, wie ein Klavierspieler sie auf der Klaviatur zur Geltung bringt? Die Worte müssten zu einer Sinfonie aus körperlicher Bewegung werden. Ich müsste den Sinn in den Fingern spüren und den Rhythmus und die Syntax in der Bewegung des Körpers. Aber die Frage ist, ob dann ein Improvisieren möglich ist wie in der Musik, dass quasi einfach von der Bewegung der Finger aus einem Wort das nächste folgt und das Ganze auch noch zusammenhängend ist und Sinn ergibt? Wie mit den Fingern denken. Es gibt also die körperlich Bewegung und den Sinn, das Wort als Ding und den Sinn. Wie ist das bei der musikalischen Improvisation? Vermutlich dasselbe. Es gibt den Sinn als Abhängigkeit zu den vorausgegangenen und nachfolgenden Tönen, die Syntax der Tonleiter und Akkorde und die physische Beschaffenheit und Herstellung des Tons. Und hier funktioniert Improvisieren! Es ist ein Denken in Musik. Dies nun verrät aber etwas über das Denken: Es ist nicht ein freies und regelloses und den eigenen Sinn machendes, nein, vielmehr ist es, wie in der Musik, ein vom vorherrschenden Sinn abhängiges, an die gängige Syntax angepasstes Durchexplizieren der Möglichkeiten. Das Denken ist also wie das musikalische Improvisieren. Nur, dass es so leise Töne hervor bringt, dass diese jeweils nur von einem Gehirn gehört werden können. Manchmal muss man sich im Denken schwer verkopfen, um alles logisch zu halten und den Faden nicht zu verlieren. Mit dem Improvisieren verhält es sich nicht anders. Es ist alles andere als frei. Auch ist es nur eine Halbwahrheit, es sei nicht geplant. Es ist zwar nicht festgeschrieben, wie auch beim Denken der nächste Gedanke nicht feststeht und beim Schreiben das eine Wort das nächste erst hervorbringt. Das Improvisieren ist dennoch sehr geplant, nur das dieser Plan so rasch erstellt wird, dass er instantan umgesetzt werden kann. Realtime sozusagen. Und genau so entstand dieser Text: Begonnen als eine kleine Fingerübung, ohne das Wissen um den Fortgang und das Ziel, hielt er sich doch im begreifbaren Rahmen der sprachlichen, logischen, kulturellen und physischen Konventionen, die meine Welt bestimmen. Und da diese Welt nicht viel anders aussieht als ihre Welt, spricht diese Wortimprovisation auch Sie an, Leser!

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