Hass (1995)

HassSehr gelungener und immer aktueller Film zum ewigen Problemkind Banlieue. Niedergeschlagenheit, Humor, Wut und Ohnmacht in einem gefährlichen Kosmos, dessen einziger Exit die Gewalt zu sein scheint.

In Mathieu Kassovitz Film HASS geht es keinesfalls um eine sich bis ins Maßlose zusammenbrauende Wut, die über kurz oder lang die Welt in Stücke reißt. Zwar tragen die drei jugendlichen Protagonisten Saïd (Saïd Taghmaoui), Hubert (Hubert Koundé) und Vinz (Vincent Cassel) alle eine Wut im Bauch, doch sie erliegen schließlich mehr der Hoffnungslosigkeit als dem Hass. Was zurückbleibt ist Frust beim Zuschauer und eine Ahnung dessen, was es wirklich bedeutet, wenn man nichts mehr zu verlieren hat. Der Film ist trotz seines Jahrgangs keine Spur alt, das Schwarz/Weiß ist zeitlos modern, die vielen kleinen Episoden und Gespräche erinnern an eine Mischung aus Jarmusch und Tarantino und die Besetzung der drei Hauptdarsteller trifft ebenso wie der Sound voll ins Schwarze. Beste Regie in Cannes, César und Europäischer Filmpreis zu Recht.

In den genau 24 Stunden, die der Film episodenhaft mit den Dreien durchlebt, lauert hinter jeder Ecke die Gefahr des totalen Zusammenbruchs. Abgesehen von der derben Jugendsprache und einem desillusionierenden Humor gibt es keine Konstante, die Stabilität verleiht. Zur lethargischen Poetik von Reggeamusik begrüßt HASS mit den dokumentarischen Bildern einer Straßenschlacht zwischen Polizei und Aufständischen. Was zurückbleibt ist verbrannte Erde und verletzte Gefühle. Und genau dies ist der Boden der Banlieue, auf dem die drei jungen Männer heranwachsen. Dass einer aus dem Viertel von der Polizei grundlos ins Koma geprügelt wurde, war der Anlass für die Krawalle. Die Krawalle wiederum spielen Vinz die Waffe eines Polizisten in die Hände und diese nun bietet die Chance sich zu rächen. Vinz will ernst genommen werden, will keine Witzfigur sein, will stolz sein auf das was er ist und hat es satt sich herumschubsen zu lassen. Seine gesellschaftliche Minderwertigkeit ruft aggressive Komplexe in ihm hervor, die ihn zur tickenden Zeitbombe machen. Regisseur Kassovitz, der wenig Wert darauf zu legen scheint seine Helden mit falschen Federn zu schmücken, zeichnet die Figur des Vinz so gefährlich und labil wie ihr Umfeld. Und obwohl er wahrlich kein Sympath ist, arbeitet der Film dennoch den Menschen in ihm heraus. Dazu trägt auch stark Hubert bei, der als einziger Weitblick beweist, indem er erkennt, dass er schleunigst hier raus muss. Doch er kann nicht, keiner kann hier raus.

Der Trip der drei Freunde führt sie vorbei an gescheiterten Existenzen und über Gewaltausbrüche in den Knast. Es ist Sinnlosigkeit in Echtzeit, die sich in vielen Blödeleien und dummem Gerede der Jugendlichen wiederfindet. Statt der Zeit, wird hier das Leben totgeschlagen. Widerstand zu leisten ist in einem Leben voller Nichts ein sinnvolles Highlight. Die Rebellion ist eine Entscheidung fürs Leben und gegen die Lethargie. Doch der Albtraum geht immer weiter und wird immer skurriler. Manchmal wird es poetisch, dann halten alle den Atem an, aber keiner versteht was gemeint ist. Sie wissen gar nicht wie ihnen geschieht und verwechseln Hilfe schnell mit Aggression. Warum nur trifft Vinz an diesem schicksalhaften Tag immer wieder auf diese Kuh? Hat Hubert recht, wenn er das ganze Viertel einen Zoo nennt, durch den die Besucher im Auto brausen, nur um nicht aussteigen zu müssen? Durch die Autoscheibe betrachtet mögen sie wilde Tiere sein, doch aus der Sicht von HASS sind die Menschen der Banlieue eingesperrt — vielleicht auch in sich selbst. Das stete Bangen um Dummheiten von Vinz oder erneuten Schikanen der Polizei halten den Puls konstant hoch und führen zur Trennung der Freunde. Dann ist es aber der Humor jener, die nichts mehr zu verlieren haben, der die drei wieder vereint. Am Ende halten sie besser zusammen, als ihre verkorksten Familien. Nur was nützt es vernünftig zu sein, wenn man in der Banlieue lebt? Das zum Dogma verkommene „Gewalt ist keine Lösung“ nimmt der Film fachgerecht auseinander. Stattdessen — und das ist wohl das wahrlich Schockierende von HASS — gilt das Credo: Mit Gewalt bleibst du länger am Leben. Darüber, wo das hinführen soll, macht sich Hubert keine Illusionen, wenn er den Mann, der im 50. Stock aus dem Hochhaus springt mit den Worten zitiert: Bis hierhin lief alles gut, bis hierhin — lief alles gut…

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Information:

Frz. Titel: La Haine

Frankreich 1995

Dauer: 96 Minuten

Regie: Mathieu Kassovitz

Drehbuch: Mathieu Kassovitz

DoP: Pierre Aïm

Musik: Assassin, sowie Songs von Frank Loesser und Bob Marley

Darsteller: Vincent Cassel, Hubert Koundé, Saïd Taghmaoui, Benoît Magimel

Genre: Drama, inspiriert durch eine wahre Begebenheit

Im Kino: 26.10.1995

Im Web:

Hass in der IMDb

Bilder und Trailer zur Filmkritik von Hass auf der offiziellen Website

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