Gefährten (2011)

Gefährten PlakatKrieg im Spielbergland: Rührselig und schwer und entwurzelt.

Stolz sei er, so sagt Steven Spielberg, dass im ganzen Film GEFÄHRTEN (WAR HORSE) nur drei sehr kurze Szenen am Computer erstellt wurden. Alles was man auf der Leinwand sieht, sei wirklich passiert. Das ist durchaus beeindruckend, zeugt aber auch von der Haltung der Regielegende zur Moderne. Dabei hatte er erst kürzlich mit TIM UND STRUPPI einen Animationsfilm in Szene gesetzt; der zwar beeindruckend aussah, aber dramaturgische höchstens Kinder betören konnte. Ob er darauf auch stolz war? Neuerdings soll Spielberg sogar am Computer schneiden – mit ca. 15 Jahren Verspätung. Der Mann, der nie verlegen um Spezialeffekte war und vom Fabelwesen über Urzeitmonster bis zum Außerirdischen schon alles vor der Kamera hatte, ist inzwischen doch ein wenig alt geworden – und das sieht man GEFÄHRTEN an.

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Albert (Irvine) muss seinen Joey hergeben.

Über fast zweieinhalb Stunden erstreckt sich die epische Erzählung von einem Pferd und seinen zahlreichen menschlichen Begleitern. Genug Zeit, um den ersten Weltkrieg unterzubringen und jede Menge Darsteller zu verschleißen. Zwar gilt Albert (Jeremy Irvine) als (menschlicher) Hauptdarsteller, aber auch er wird stoisch von einem Drehbuch übergangen, welches stets dem Vierbeiner Joey folgt. Dennoch ist die Freundschaft ein wichtiges Thema des Films, nicht nur wegen des Titels in Deutschland, wo Schlachtross für einen derart sentimentalen Film wirklich zu martialisch klingt. Nachdem Alberts Vater (Peter Mullan) das Pferd seines Sohnes an einen englischen Offizier verkauft hat, wird dieses bemerkenswerte Tier an den unmöglichsten Kriegsschauplätzen für leuchtende Augen und offene Herzen sorgen. GEFÄHRTEN propagiert vor allem zum Ende hin Rührseligkeit, Nächstenliebe und Menschlichkeit – und der Gipfel der Spielberg’schen Weihnacht (Start USA: 25.12.2011) kommt in einem satten Rot daher, wie es seit Technicolor Zeiten vom Winde verweht war und mit einer Kadrage, die nicht minder betagte Riefenstahl-Pathetik evoziert.

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Klasse Paar: Mullan und Watson sind die Narracotts.

Dabei handelt es sich durchaus um keinen schlechten Film, aber so ganz zu leben beginnen wollen die etwas oberflächlich geratenen und meist nur kurzzeitig agierenden Figuren nicht, egal ob sie von Hiddleston, Marsan, Cumberbatch oder Thewlis verkörpert werden; einzig Emily Watson bleibt einmal mehr über jeden Zweifel erhaben. Dennoch erfüllen sie alle ihren Zweck und werden dem einen oder anderen auch Filmtränen entlocken. Der Umstand, dass der Film den maximalen emotionalen Effekt aus jeder Szene schöpfen will, führt zu einem durchaus konstruiert erscheinenden Plot, dessen Szenen plakativ zeigen und doch vorgeben sie täten es nicht. Der französische Großvater (Niels

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Hiddleston als Captain Nicholls schwer bewaffnet im Kornfeld.

Arestrup) mit seiner niedlichen Enkelin (Celine Buckens), der inmitten der Wirren des Weltkriegs auf seinem malerischen Anwesen im Wald weilt, mitsamt prall gefülltem Frühstückskorb, Erdbeeren und Massen von Zucker, trägt doch etwas viel Marmeladenidylle auf. Merkwürdigerweise lässt die Inszenierung den beiden Einsiedlern überraschend viel Freiraum im Spiel und Dialog, so als würde Hollywoods Effektökonomie zugunsten der „europäischen Verpflichtung“ des Films hintangestellt. Ansonsten aber ergeht sich GEFÄHRTEN in Posen, die weniger mit gelebter und packender Wirklichkeit als mit Filmkonventionen vergangener Jahrzehnte gemein haben: Konstruiert, wortreich, statisch, überdeutlich und sentimental bis in den Tod.

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Gruppenbild ohne Pferd: Traurige Idylle.

Aus moderner Sicht erscheint der Film deshalb manchmal etwas aufgesetzt, denn die Gefühle wachsen kaum und vieles wirkt übertrieben inszeniert. Dazu trägt nicht zuletzt der ununterbrochene Musikeinsatz von Spielbergs Dauerkomponist John Williams bei. Auf der Theaterbühne des National Theatre in London war es vielleicht gerade das Theatralische, was War Horse zum erfolgreichsten Stück aller Zeiten machte. Allerdings stellt diese Art des Zeigens im performativen Theater sich stets selbst aus; nicht zuletzt durch die famosen Pferdepuppen. GEFÄHRTEN nun stilisiert die natürlich raue englische Landschaft zu einem schönen Märchen aus anno dazumal, das ohnehin schon malerische Bauernhaus wird zu einem Disneylandhäuschen umgekrempelt und die traurige Kriegsgeschichte mutiert zu einer Odyssee aus Mittelerde. Schade nur, dass die sichtbar gebliebenen Nähte dieser beiden Welten, der Wirklichen und der Erträumten, ignoriert werden. Spielberg scheint selbst der alte Mann mit dem Marmeladentopf geworden zu sein, der ungeniert zu seinem simplen Rezept mit viel Zucker steht und würzige Suppe verpönt. Vielleicht ist GEFÄHRTEN aber auch einfach nur als Märchen zu verstehen und wirkt nur deswegen ignorant, weil Spielberg damit erneut etwas Positives in einem schrecklichen Krieg entdeckt, diesmal aber ohne zu schockieren.

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Beeindruckende Aufnahmen: Joey auf der Flucht.

Ähnliche Filme:

The Black Stallion

Information:

Engl Titel: War Horse

USA 2011

Dauer: 146 Minuten

FSK: 12

Regie: Steven Spielberg

Drehbuch: Lee Hall, Richard Curtis

Nach dem Roman War Horse, 1984, von Michael Morpurgo

DoP: Janusz Kaminski

Musik: John Williams

Darsteller: Tom Hiddleston, Benedict Cumberbatch, David Thewlis, Emily Watson, Peter Mullan, Toby Kebbell, Eddie Marsan, David Kross, Jeremy Irvine, Niels Arestrup

Genre: Drama, Märchen

Im Kino: 16.02.2012

Im Web:

Gefährten in der IMDb

Bilder und Trailer zur Filmkritik von Gefährten auf der offiziellen Website

Copyright Bilder und Trailer: Walt Disney/Dreamworks

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