96 Hours (2008)

96 Hours - Taken PlakatKlassenkampf im Actionmärchen: Die Rache des Gedemütigten und Beleidigten.

Das pixelige Homevideo eines Kindergeburtstags zu Beginn von 96 HOURS erinnert stark an diese Art von Rächerfilmen, wo der brave Polizist oder Soldat auf grausame Art seine Familie verliert und die Schuldigen hierfür mit freudig zelebrierter Action zur Verantwortung zieht. TAKEN ist anders, obwohl er viel von Filmen dieser Art hat. Zum einen besteht die Chance für den Ex Geheimagenten Bryan Mills (Liam Neeson), dass seine getrennte von ihm lebende und entführte Tochter Kim (Maggie Grace) noch am Leben ist und er sie zurückholen kann, zumindest die nächsten 96 Stunden. Zum anderen geht es hier nicht um Rache, sondern um Bestrafung und schließlich ist der Actionthriller mit Liam Neeson in der Rolle seines Lebens nicht selbstverliebt, sondern selbstgerecht bis zur Revolution. Neesons Rolle ist wie sein damaliger ROB ROY – der in etwa dasselbe verkörperte – ein nur bedingt talentierter, gesellschaftlich kaum tragfähiger, finanziell unterprivilegierter und mitleidserregend braver Mann, der sich nur deshalb behaupten kann, weil er bereit ist bis in den Tod zu gehen für das, was ihm wichtig ist. Er ist ein grober, einfacher, starker Mann mit vielen Gefühlen, der seinen Groll gegen Geld, Macht und Status resigniert schluckt – noch.

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Lenore (Famke Janssen) trifft sich nur ungerne mit ihrem abgehalfterten Ex Bryan (Liam Neeson).

Eine gelungene, rasche Exposition bringt in sehr prägnanten und auch spannenden Szenen die Handlung zu jenem Punkt, wo das Spiel beginnen kann und Bryan sich auf den Weg nach Frankreich macht, um seine entführte Tochter aufzuspüren – und mindestens ebenso: Um die Entführer zu jagen! Dass die Gründe der Entführung etwas abenteuerlich anmuten fällt genau so wenig ins Gewicht wie manch anderer kleine Betrug und klischeehafte Handlungsablauf, der den Film auf konstant hoher Geschwindigkeit hält und emotional nichts anbrennen lässt. Ästhetisch erinnert 96 HOURS eher an die Actionfilme der 90er, mit Verfolgungsjagden, endlosem Kugelbeschuss und unterschnittenen Kampfszenen statt ausgefeilter Choreographie. Jedoch ist Action kein Selbstzweck und bleibt immer Mittel zum Zweck, was eine bessere Konzentration auf die Gefühle der Hauptfigur erlaubt und ein wenig an französische Kriminalfilme der 70er Jahre erinnert.

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Liam Neeson wie wir ihn kennen und lieben: Hochkonzentrierte Verletzlichkeit und knallharter Wille.

Dass es nicht um Gerechtigkeit geht wird spätestens klar, als Bryan auf die ersten Vertreter des organisierten Verbrechens stößt. Geschossen wird hier um zu töten, nicht damit die Funken fliegen. Bryan ist sehr böse, riskiert in jedem Moment vorbehaltlos seinen Kopf und verblüfft seine Gegner dadurch, dass er längst alle Register gezogen hat – der PUNISHER lässt grüßen! Trotz all der angewandten (aber nicht übermäßig visualisierten) Gewalt wirkt der Film niemals plump oder lächerlich, denn Neeson glänzt als Getriebener, als Gedemütigter und Beleidigter, der nicht länger auf sich herumtrampeln lässt. Ähnlich dem in KLASS beschrieben Schulmassaker gelingt es 96 HOURS die Gewalt als emotional nachvollziehbaren Ausweg aus einer erstickenden Klemme zu beschreiben, als ein Aufatmen und einen Schlag gegen jeglichen Betrug, was wohl nicht zufällig oft an Klassenkampf erinnert.

96 Hours Liam Neeson schmutzig Bild
Austeilen, nicht gut aussehen: Neesons Bryan Mills macht sich mehr als nur die Hände schmutzig.

Bryan spielt keine Spielchen mehr, legt sich mit Gott und der Welt an, ist bereit alles in den Wind zu schießen und man würde ihm selbst zutrauen, dass er mit einem Taschenmesser den Eifeltrum zerlegte, würde ihm das seine Tochter zurückbringen. Anlegen muss er sich aber vorwiegend mit Albanern, Polizisten und Arabern, wobei letztere erneut den Hass auf dekadenten Wohlstand schüren, wenngleich etwas Rassismus in der Luft zu liegen scheint. Was überwiegt ist jedoch der Kampf des vormals Anständigen, der genug hat von Korruption und anderer durch Geld institutionalisierter Kriminalität in der verlogen feinen Gesellschaft. Was für ein Märchen!

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Vordergründig geht es um die Tochter, doch insgeheim kämpft Neeson alias Bryan Mills gegen Korruption, Ausbeutung und Geld.

Und das ist auch der Grund, warum Actionfilme wie 96 HOURS 7.9 Sterne auf der IMDb erhalten. Weil Actionfilme helfen zu ertragen, weil sie Sehnsüchte erfüllen, weil sie scheinbar Filme für eine Mehrheit sind, die sich vergessen und unterdrückt fühlt und in dem Märchen Actionfilm den Kampf gegen die Unzufriedenheit führen darf. Liam Neeson, von dem man sagt er wollte früher einmal Boxer werden, verkörpert diesen anständigen Verlierer, der aber, als ihm das wertvollste geraubt, des falschen Spiels der Oberen überdrüssig wird. Mit roher Kraft und unbändigem Willen ergreift er die Klinge, die an seiner Kehle liegt – koste es jeden einzelnen seiner Finger oder schlimmer. So aber wird er siegen, mit der Chuzpe eines Felsbrockens aber eben auch mit dem Herzen und dem Glauben eines Felsbrockens, gegen jedwede Falschheit in unserer Welt, der längst als Gewieftheit applaudiert wird und deren selbstverliebter, menschenverachtender und arroganter Ethos als Auszeichnung gilt.

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Copyright Bilder und Trailer: Universum/Disney
DVD Vertrieb: 20th Century Fox

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